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Rassismus an Schulen: Wo fängt er an, was kann man dagegen tun?

Unreflektierte Aussagen prägen: rassismuskritische Schulkultur ist gefragt. Welche Rolle spielt das Lehrpersonal?

„Rassismuskritische Bildung ist von allen Menschen notwendig, die mit dem System Schule zu tun haben.“
„Rassismuskritische Bildung ist von allen Menschen notwendig, die mit dem System Schule zu tun haben.“

Die meisten Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind keine Rassistinnen und Rassisten. Alle Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind rassistisch sozialisiert", sagt Autorin Tupoka Ogette: "Schule prägt uns. Rassismus als normalisierter Teil in Schulbüchern, Aufgabenstellungen, Sprache und rassistischer Sozialisierung von Lehrpersonen prägt uns. Rassismuskritische Bildung von allen Menschen, die mit dem System Schule zu tun haben, ist daher essenziell und dringend notwendig."

"No to Racism. Grundlagen für eine rassismuskritische Schulkultur", heißt das Buch, für das Ogette das Vorwort verfasst hat. Rahel El-Maawi, Mani Owzar und Tilo Bur sind die Urheber dieses neuen Werks, das sich mit Rassismus in der Schule beschäftigt. Doch: Wovon sprechen wir hier überhaupt? Welche Auswirkungen hat Rassismus auf Kinder im Bildungssystem? Und: Wie kann man dem entgegenwirken?

Was versteht man genau unter Rassismus?

"Wenn wir von Rassismus und rassistischer Diskriminierung sprechen, sprechen wir davon, dass Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale rassifiziert werden: Es wird unterschieden zwischen ,wir' und den ,anderen'", erklären die Autorinnen. Diese Art der Diskriminierung findet öfter statt als gedacht - in der Bahn, auf dem Schulhof, in den sozialen Medien. "Rassistische Diskriminierung äußerst sich nicht nur in offenem und feindseligem Verhalten, sondern oft auch in unreflektierten sprachlichen Äußerungen und in Mikroaggressionen. Und auch, indem Zugänge zu Bildung, Gesundheit und Wohnen erschwert werden."

Einen Platz in der Gesellschaft finden

El-Maawi, Owzar und Bur plädieren mit ihrem Werk dafür, dass es mehr Rassismuskritik im Schulsystem geben soll. "Es gehört zur Entwicklung der Kinder, dass sie während ihrer Schulzeit versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Gleichzeitig werden rassismusbetroffene Kinder von der Gesellschaft immer wieder zum ,Anderen' konstruiert", sagen die Autorinnen. "Diese Differenz wird auch in Schulen immer wieder betont."

Ein schlichtes Beispiel ist die Frage vonseiten des Lehrpersonals: "Woher kommst du?" Das Kind, das neu in der Klasse angefangen hat, antwortet, dass es zuvor im Ort XY in die Schule gegangen ist. Oft folgt in solchen Fällen die Nachfrage: "Ich meine, woher kommst du ursprünglich?"

Was passiert bei einer solchen scheinbar unauffälligen Nachfrage? "In diesem Beispiel konstruiert die Lehrperson eine Differenz aufgrund von rassifizierten Merkmalen mit der Annahme, dass ein Kind nicht von ,hier' sein kann, weil es nicht als weiß gelesen wird", erklären El-Maawi, Owzar und Bur. Dieses "Anderssein" wirkt auf Kinder und prägt ihren Umgang untereinander: "Wer zum ,Wir' und wer zu den ,anderen' gehört, wird von Kindern schnell gelernt und im Schulkontext immer wieder verfestigt."

Das Resultat daraus ist, dass so nicht nur rassismusbetroffene Kinder lernen, wo der "ihnen zugeschriebene" Platz in der Gesellschaft ist. Auch weiße Kinder werden durch solche Situationen in ihrer Rolle als "Norm" positioniert.

Von der Sprache und den Deutschnoten

Die Krux im Schulsystem geht bei einem klassischen Beispiel weiter: dem Deutschunterricht. Dadurch beispielsweise, dass Lehrerinnen und Lehrer farbigen Kindern sagen, dass sie sich im Deutschunterricht besonders Mühe geben sollten. Oder aber, dass ein anderes Kind "of Color" übermäßig für seine guten Leistungen gelobt wird. Die Autoren: "Ein drittes schickt die Lehrperson in den Deutsch-als-Zweitsprache-(DAZ)-Unterricht, während ein anderes, weißes, Kind mit demselben Deutschniveau nicht in den DAZ-Unterricht muss."

Was ist das Ergebnis dieser Handlungen? "Alle Kinder in dieser Klasse beginnen zu glauben, dass Kinder of Color weniger gut Deutsch können. Die Kinder of Color glauben selbst, dass sie nicht gut in Deutsch sein können, und wenn sie doch gut sind, ist es eine bemerkenswerte Ausnahme." Und weiter: "Die weißen Kinder wiederum gehen davon aus, dass es ihnen nicht schwerfallen sollte, gut in Deutsch zu sein." Und auch das wiederum entspricht bekanntlich oft nicht der Realität.

Tatsache ist, dass Rassismus - ob beabsichtigt oder nicht - die Identitätsentwicklung von Kindern beeinflusst und die Zuschreibungen, die sie erhalten, ihr Selbstbild prägen.

Wo nimmt Rassismus seinen Anfang?

Wann fängt es an: Wie erlernen Kinder Rassismus? Und: Haben die Kleinen bereits Vorurteile? "Selbstverständlich kommen Kinder nicht mit Vorurteilen auf die Welt, aber auf jeden Fall mit der Fähigkeit zur Unterscheidung, denn ihre Umgebung prägt sie bereits im Uterus", sagen die Autoren. In dieser Fähigkeit liegt noch keine Wertung, sie ist lediglich Voraussetzung für die Entwicklung einer solchen. "Kinder lernen natürlich nicht nur von den eigenen Eltern, sondern erlernen auch Normen und Werte, die in der Mehrheitsgesellschaft gelten", erklären El-Maawi, Owzar und Bur: "Es konnte gezeigt werden, dass Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren die vorherrschenden Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft bereits übernommen haben."

Wie kann man Rassismusentwicklungen effektiv entgegensteuern?

Der Tipp der Autoren: Mit allen Kindern über Rassismus sprechen, auch wenn sie selbst nicht davon betroffen sind. Rassismus erklären, auf die Vielfalt aufmerksam machen und Kindern die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen. Selbst Vorbild sein, andere Menschen auf Rassismus hinweisen, und last but not least: eigene Denkmuster als Erstes hinterfragen.

Buchtipp: Rahel El-Maawi, Mani Owzar, Tilo Bur: "No to Racism. Grundlagen für eine rassismuskritische Schulkultur", 2022, hep-Verlag.