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Anonyme Bewerbungen - Jobgespräch hinterm Vorhang

Unpassendes Alter oder Geschlecht? Die gibt es bei anonymen Bewerbungen nicht. Ein Versicherer lädt Bewerber zu Jobgesprächen ohne Sichtkontakt, um das Wesentliche zu fokussieren.

Diversität in der Belegschaft ist oft noch bloße Theorie. Mit „Blind Recruiting“ fällt es Personalern leichter, bunt gemischte Talente ins Unternehmen zu bringen.
Diversität in der Belegschaft ist oft noch bloße Theorie. Mit „Blind Recruiting“ fällt es Personalern leichter, bunt gemischte Talente ins Unternehmen zu bringen.

Von Diversität wird heute gern gesprochen, aber was tut sich tatsächlich in den österreichischen Betrieben? Von Vielfalt in der eigenen Belegschaft sind viele noch weit entfernt. Sei es, weil die Führungsriege mit dem Begriff Diversität noch gar nichts anfangen kann oder nicht weiß, wie sie eine größere Bewerbergruppe als gewohnt erreichen könnte. Dabei zeigen immer wieder Studien, dass Betriebe langfristig erfolgreicher sind, wenn sie Diversität auch leben.

"Blind Recruiting" - Was ist das?

Um Betriebe in die diese Richtung anzuspornen, ruft eine Wiener Onlineplattform regelmäßig die sogenannten "Divörsity Aktionstage" aus. Heuer finden diese von 5. bis 20. Oktober statt. Im Aktionszeitraum setzen zahlreiche Betriebe und Einrichtungen Diversitätsprojekte um. Mit einem ungewöhnlichen Chancengleichheits-Konzept nimmt die Helvetia Versicherungen AG teil. Das Versicherungsunternehmen mit Österreich-Sitz in Wien lädt Bewerber für aktuell 26 freie Stellen zum "Blind Recruiting" ein. Dabei können sich Interessierte schriftlich anonym bewerben. "Die Bewerbungen können ohne Angabe von Name, Alter, Geschlecht, Nationalität und sonstigen personenbezogenen Daten sein", schildert Teamleiterin Thorid Braunstein. Die Recruiter erhalten nur Lebenslauf und Anschreiben. Halten sie jemanden für geeignet, laden sie ihn oder sie per SMS und unter Vergabe einer Bewerbernummer zu einem Jobgespräch mit Sichtschutz ein. Beide Gesprächspartner sind dann zwar in einem Raum anwesend, wie jemand aussieht oder welche Kleidung er oder sie trägt, bleibt aber im Dunkeln. Die Idee dahinter: So fokussiert man eher das Wesentliche - was kann und was will der oder die Kandidat/-in? Auf diese Art will man auch schüchternen Menschen eine Hürde aus dem Weg schaffen, so Braunstein: "Sie erhalten die Chance, dass unser erster Eindruck rein auf das Gesagte aufbaut."
Wenn Qualifikation, Jobprofil und Blindgespräch für beide Seiten passen, treffen sie sich erst zum normalen Gespräch. Im Vorjahr hat Helvetia Österreich während der "Divörsity"-Tage rund 20 anonyme Bewerbungen bekommen. "Zu einer Anstellung ist es damals leider nicht gekommen", sagt Pressesprecherin Michaela Angerer. Da die Rückmeldungen von Bewerberseite wie auch dem Recruiting sehr positiv gewesen seien, führe man das Projekt wieder durch. Größere Chancen erwartet man sich dadurch, dass man die anonyme Bewerbungsphase bis in den November verlängert.

Warum "Wow, in deinem Alter?" am Arbeitsplatz daneben ist

Um eine offene, inklusive Unternehmenskultur zu schaffen, braucht es klare Richtlinien und Anlaufstellen in Betrieben. Wie eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Finn Partners Deutschland zeigt, wissen 60 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland nicht, an wen sie sich bei Benachteiligungen im Unternehmen wenden können. Verletzend sind oft gerade vermeintlich gut gemeinte Kommentare wie "Wow, dass du in deinem Alter ein Start-up anfängst" oder "Du verdienst aber viel für eine Frau".

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