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Das Lernen (wieder) lernen: "Es geht darum, genau hinzuschauen"

Sophie Huber-Lachner begleitete Kinder, die nicht regulär in die Schule gehen. Entstanden ist dabei ein Film, der in Salzburg nun erstmals gezeigt wurde.

Colearning kann für Jugendliche eine taugliche Alternative zum klassischen Schulalltag sein.
Colearning kann für Jugendliche eine taugliche Alternative zum klassischen Schulalltag sein.

Sie lernen langsamer. Sind zu sensibel. Oder sie erledigen ihre Aufgaben nicht nach den Erwartungen und Vorgaben. In Regelschulen werden Kinder wie diese schnell als Problemfälle abgestempelt.

"Beim Colearning kommen junge Leute wieder auf die Beine."
Sophie Huber-Lachner
Filmemacherin

Im Projekt "Colearning" im Wiener Markhof hingegen fanden solche Kinder endlich einen Ort, an dem sie stressfrei ihre Lust am Lernen wiederentdecken konnten. So wie Rebecca, Tahzara und Luka. Sie sind drei aufgeweckte Teenie-Mädchen, die sich von der Schule abgemeldet haben. Ohne fixen Stundenplan, dafür aber mit der Hilfe von Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern eignen sie sich im Colearning den Stoff für ihre jeweilige Schulstufe an.

Am Ende des Schuljahres entscheidet das Ergebnis einer Externistenprüfung, ob der Lernfortschritt der sogenannten Colearner ausreicht. Fällt sie positiv aus, dann darf auf diese Art weitergelernt werden. Das ist möglich, weil es in Österreich keine Schul-, sondern lediglich eine Unterrichtspflicht gibt.

Es braucht ein Dorf

Die Salzburger Filmemacherin Sophie Huber-Lachner hat die Mädchen und das Projekt "Colearning" im Wiener Markhof begleitet. Entstanden ist dabei der Film "Das Lernen (wieder) lernen", der vor Kurzem im Salzburger Das Kino Premiere feierte. In einer kurzweiligen Stunde erfahren Zuseherinnen und Zuseher so einiges über den Leidensdruck der Kinder, die aus dem Regelschulsystem ins Colearning finden. Sie sehen, dass das Colearning eine taugliche Alternative, "ein Platz sein kann, an dem junge Menschen wieder auf die Beine kommen", erklärt Huber-Lachner.

Der Zulauf im Colearning war groß, die Warteliste lang. Als Huber-Lachner in Wien drehte, waren es rund 40 Kinder, vom Kleinkind bis zum Teenager, die dort miteinander spielten und lernten. Es ist ein Dorf, das die Gründer erschaffen wollten. Das Dorf, das man bekanntlich braucht, um Kinder großzuziehen. Gerade in der Großstadt fehlt diese Gemeinschaft oft. Im Colearning teilen sich Kinder und Erwachsene alltägliche Aufgaben, es wird zusammen eingekauft und gekocht. Eigenverantwortung und Selbstermächtigung stehen hier im Mittelpunkt.

Das Konzept "Dorf" sei für Huber-Lachner der bestechendste Aspekt am Colearning gewesen, Kinder sollen wieder ganz natürlich am Leben der Erwachsenen teilhaben. Dennoch steht es der 41-Jährigen selbst fern, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Sie selbst ist Mutter und hadere nicht mit dem System: "Colearning ist ja auch nicht für jeden geeignet", so Huber-Lachner. "Trotzdem schafft eine solche Initiative wichtigen Raum, um das Thema Schule nach vorn zu bewegen." Gerade mit der Pandemie gewinnt es weiter an Bedeutung. 2021 verdreifachte sich die Zahl der Schulabmelder, gleichzeitig sollen die Regeln für Freilerner verschärft werden.

Das Leben - kein Ponyhof?

Ein oft genannter Zweifel, den auch ein Vater im Film äußert: Wie kommen die Kinder denn zurecht, wenn sie irgendwann aus dem Colearning wieder in die "echte" Welt entlassen werden? Es sind Zweifel, die der Film am Ende zerstreut: Rebecca, Tahzara und Luka bestehen die Externistenprüfung. Sie könnten also weiter im Markhof bleiben. Doch alle drei entscheiden sich, das Projekt "Colearning" wieder zu verlassen. Rebecca beginnt eine Ausbildung als Fußpflegerin. Sie fühlt sich in der Berufsschule und bei ihrem Arbeitgeber gut aufgehoben. Für Luka waren gute Noten vorher enorm wichtig. Jetzt, so sagt sie, "werde ich immer besser darin, dass mich Noten nicht mehr so stören".

Auffallend ist, dass alle drei Mädchen sehr genau wissen, was sie können und was sie wollen. Sie haben ein ausgeprägtes Gespür für sich selbst, reflektieren viel und können sich scheinbar gut verorten. Möglicherweise ist genau das die Fähigkeit, die die Kinder wiedergewinnen, wenn sie ihren Fokus nicht mehr ausschließlich auf äußere Erwartungen, Bewertungen und Noten richten.

Weg vom Schwarz-Weiß-Denken: "Es geht darum, genau hinzuschauen"

Das Projekt "Colearning" im Wiener Markhof gibt es heute in dieser Form nicht mehr. Zu schnell sei man damals gewachsen, die Überlastung sei für viele Mitwirkende zu groß geworden. Heute ist nur mehr eine kleine Gruppe Freilerner übrig. Man wolle es bewusst kleinhalten. Gescheitert sei es aber dennoch nicht, hört man im Film.

"Mir geht es nicht darum zu sagen, dass das eine oder das andere System richtig oder falsch sei. Mir geht es darum, die richtigen Fragen zu stellen: Was brauche ich, um gut zu lernen? Um eine Antwort zu finden, muss man genau auf die Kinder hinschauen. Die Antwort kann für jeden eine andere sein", so Huber-Lachner.

Für die Filmemacherin war die Fertigstellung des Films ein Herzensprojekt. Gerade das Aufstellen der nötigen finanziellen Mittel sei für sie dabei eine der großen Herausforderungen gewesen. Neben den Förderungen der Länder Oberösterreich und Salzburg stellte Huber-Lachner einen Teil des Budgets durch Crowdfunding auf, also durch eine Beteiligung von Menschen, die sich selbst für den Film interessieren. "Gerade das Crowdfunding hat mich in schwierigeren Phasen dazu motiviert, das Projekt auch wirklich fertig zu machen."

Für sich selbst habe sie dabei vor allem eines gelernt: "Um etwas zu lernen, muss man vor allem die eigene Komfortzone verlassen."

Filmtipp: "Das Lernen (wieder) lernen" - ein Film von Sophie Huber-Lachner. Ab Sommer zu sehen bei flimmit.at