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Wie CEOs einen kühlen Kopf bewahren

Im neuerlichen Corona-Lockdown brauchen vor allem CEOs gute Nerven. Eine Mentaltrainerin erklärt, wie die Oktopusübung und andere Tricks helfen.

In stressigen Zeiten geht es vor allem um die Frage: „Wie gehe ich damit um?“
In stressigen Zeiten geht es vor allem um die Frage: „Wie gehe ich damit um?“

Schlaflosigkeit? Magenkrämpfe? Oft zeigen diese Symptome Überforderung an. Viele CEOs seien angesichts der Auswirkungen der Pandemie überfordert, schildert Führungskräfte-Coach Katrin Bitterle. Die Zürcherin erzählt von Führungskräften, die sich im Homeoffice verstecken, weil sie nicht weiterwissen, sowie solchen, die vor den Mitarbeitern zu ihren Gefühlen stehen, und gibt Tipps "für einen kühlen Kopf".

Frau Bitterle, wie steht es um die Nerven der Führungskräfte seit dem neuerlichen Lockdown? Katrin Bitterle: Spannend finde ich, dass sich wieder die Spreu vom Weizen trennt. Manche gehen sehr gut damit um. Das sind die positiv gestimmten, mental stabilen Menschen, die sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen. Weil sie kühlen Kopf bewahren, können sie auch in einer schwierigen Zeit für ihren Betrieb die richtigen Entscheidungen treffen. Viele andere lassen sich schnell in einen Abwärtsstrudel hineinziehen. Sie merken jetzt, dass sie mental nicht so stark sind und straucheln. Das zieht sich über alle Branchen. Manche trifft der Lockdown besonders hart und trotzdem gehen dort viele CEOs mit der Lage gut um. Die Frage ist nicht: "Was passiert mir?", sondern: "Wie gehe ich damit um?"

Wie sehr beschäftigen sich Führungskräfte damit, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen? Nicht in jeder Chefetage wird diese Frage thematisiert. Sehr reflektierte Menschen sehen schon bald, bei mir läuft gerade etwas schief. Andere kommen erst dann drauf, wenn sie nicht mehr schlafen können, Magenkrämpfe haben oder feststellen, sie sind permanent angespannt. Insgesamt beschäftigen sich aber immer mehr Führungskräfte damit. Für Sportler ist es völlig normal, dass sie einen Mentalcoach haben, das schwappt langsam über in die Wirtschaft.

Bild: SN/privat
Im Lockdown zeigt sich, wie nervenstark
CEOs sind.
Katrin Bitterle, Führungskräftecoach

Was passiert, wenn sich CEOs nicht damit beschäftigen, wie sie kühlen Kopf bewahren können? Denen macht die Lage trotzdem zu schaffen und das hat negative Auswirkungen auf sie und das Unternehmen. Eine CEO aus der chemischen Industrie mit 500 Mitarbeitern unter ihr steigerte sich komplett hinein in den zweiten Lockdown. Sie sah sich schon unter der Brücke schlafen und Mitarbeiter entlassen. Ihr machte die Situation an sich zu schaffen: "Wie geht es weiter, wie machen wir das mit dem Homeoffice, wie können wir all die Hygienevorschriften umsetzen?" Wenn man die schlechte Brille aufhat, sieht man auf einmal alles schlecht. Man kommt in eine Abwärtsspirale und schüttet Stresshormone aus, auch wenn man an Stress nur denkt. Die Führungskraft wollte natürlich ihre Panik nicht vor den Mitarbeitern zeigen. Sie hat sich im Homeoffice vor ihnen versteckt und Meetings abgesagt. Sie hatte Schlafstörungen, als sie mich anrief. Nach einer Sitzung hat sie langsam erkannt, wie die Lage tatsächlich ist (nicht so schlimm wie befürchtet) und eine Kommunikation für die Mitarbeiter ausgearbeitet. Wichtig ist, die Lage nicht wegzureden, aber auch nicht schwarzzumalen.

Wie kann es aussehen, wenn eine Führungskraft im Lockdown Stärke beweist? Nervenstarke Führungskräfte zeigen, dass sie auch nur Menschen sind. Sie tun nicht so, als wären sie ein Eisklotz oder ein Übermensch. Eine Abteilungsleiterin aus der Finanzbranche mit 250 Mitarbeitern unter ihr hat das sehr gut gemacht. Beim zweiten Lockdown, als sofort die Gerüchte hochbrodelten, nahm sie wahr, dass auch in ihr Ängste hochkamen. In einer gemeinsamen Sitzung konnte sie die Ängste quasi aus der Vogelperspektive anschauen, akzeptieren und wieder gehen lassen. Ich finde es faszinierend, wie schnell es vorbei ist, wenn man sich Zeit nimmt und dem Ganzen Raum gibt. Die CEO war danach sehr beruhigt und mit sich im Reinen. Sie kommunizierte gleich ihren Mitarbeitern, dass auch sie Sorgen hatte und gemerkt hat, dass sie unbegründet waren. Etliche ihrer Leute haben sich dafür bedankt, dass sie so offen gesprochen hat. Sie konnten sich dann selbst öffnen und das Thema für sich bearbeiten. Wenn Mitarbeiter sagen dürfen: "Ich bin gerade überfordert", fühlen sie sich auch als Mensch angenommen. Das erhöht das Commitment und die Arbeitsmotivation.

Wie können Führungskräfte im Lockdown ihre Nerven stärken? Nicht alle fünf Minuten nachschauen, was gerade in puncto Corona auf der Welt passiert. Stattdessen den Fokus wieder auf sich selbst richten. Die Oktopusübung hilft. Man stellt sich vor, ein Oktopus zu sein, dessen Tentakel an vielen Themen außerhalb seiner selbst festhängen, bei Coronazahlen, der letzten Sitzung, beim Partner. Ich ziehe alle Tentakel an mich heran, um mich auf mich selbst zu zentrieren. Viele Geschäftsinhaber und CEOs meinen, sie müssten alles allein schaffen, weil es ja ihre Verantwortung ist. Aber es ist okay, sich Hilfe von Kollegen, Coaches oder Psychologen zu holen. Es nimmt Druck, wenn man sich klarmacht, dass man die perfekte Lösung nicht gleich haben kann. Eine gute Übung ist, sich aus der Zukunftsperspektive heraus, wenn Corona vorüber ist und es dem Unternehmen gut geht, selbst Tipps zu geben, wie man jetzt handeln soll. Bei der Übung gewinnt man Abstand und eine Perspektive. Dadurch suggeriert man seinem Gehirn, dass es möglich ist, die Krise zu überstehen. Man wird positiver, kreativer und innovativer.

Was sollte man vermeiden? Ständig bei anderen Themen als bei mir selbst zu sein, sich zu viel Druck zu machen - und Energievampire, also Menschen, deren negative Haltung einen auslaugt. Kommt man ihnen einmal nicht aus, hilft die Vorstellung, wie deren negative Energie durch meinen Körper fließt und durch die Füße wieder hinaus.