"Vitamin B" ist noch immer eines der stärksten Mittel, um einen guten Job zu bekommen. Das gilt für Österreich besonders und trifft auch im Nachbarland Deutschland zu. Eine, die das selbst erfahren hat, ist Natalya Nepomnyashcha. Trotz sehr guter Schulnoten wurde sie nicht am Gymnasium aufgenommen. Weil sie da nicht hingehöre, habe ihr der zuständige Konrektor gesagt, schilderte die junge Frau in einem Zeitungsinterview. Sie stammt tatsächlich aus armen Verhältnissen. "Ich komme aus einer Hartz-4-Familie. Meine Eltern sind eingewandert und kannten hier niemanden", schildert Nepomnyashcha. Doch sie wollte Karriere machen, verdiente sich nach der Schule Geld als Übersetzerin und absolvierte schließlich ein Studium der Internationalen Beziehungen in England.

Heute ist die 31-Jährige eine gefragte Rednerin und Sozialunternehmerin. Neben ihrem Vollzeitjob bei der weltweit tätigen Unternehmensberatung EY in Berlin ist sie das Gesicht des Netzwerks Chancen. Nepomnyashcha hat dieses Netzwerk vor fünf Jahren gegründet, "damit es andere junge Menschen leichter haben", als sie es hatte. Frauen und Männer, deren Eltern keine guten Beziehungen spielen lassen können, um sie in gute Jobs zu bringen. Das können Schulabgänger, Studierende oder generell über 18-Jährige sein, die aus Zuwandererfamilien stammen, aus Haushalten ohne Akademiker oder einfach aus ärmeren Familien. "Sie sollen ein Netzwerk bekommen und für sich nutzen können, das andere von Haus aus haben", begründet die Deutsche ihr Engagement.
Mit Einzelcoachings, Mentoring und Kontakten zu Arbeitgebenden hilft das Netzwerk Chancen jungen Aufsteigern in Deutschland. Die Altersgrenze liegt bei 39 Jahren, da Menschen aus benachteiligten Haushalten oft erst später studieren und Karriere machen. Mit bereits mehr als 2000 Mitgliedern hat das Netzwerk inzwischen eine beachtliche Größe bekommen.
Netzwerk aufbauen - aber wie?
In Österreich fehlt eine vergleichbare Plattform. Tipps zum Aufstieg ohne elterliches "Vitamin B" gab die Netzwerk-Gründerin kürzlich in einem Onlinevortrag. Das Wichtigste ist aus ihrer Sicht, sich selbst ein großes Netzwerk aufzubauen. Wie das geht? Zunächst gilt es zu überlegen: Welche Branchen interessieren mich? Zu diesen sucht man die jeweiligen Verbände und Vereine zusammen. Nepomnyashcha hat dies selbst radikal gemacht, wie sie erzählt: "Ich bin tatsächlich allen möglichen Vereinen beigetreten. Anfangs traute ich mich gar nicht, den Mund aufzumachen. Aber man muss nur ein bisschen Mut haben!"
Wer nicht gleich beitreten will, kann sich auf Verteiler verschiedenster Verbände setzen lassen. Events sieht Nepomnyashcha als besonders zielführend an. "Am besten sind sie, wenn es dort Essen gibt. Dann ist es ruhiger und man kann sich gut unterhalten. Gehen Sie zu Grüppchen und zu Einzelpersonen hin und lernen Sie sie kennen", rät sie. Dabei sollte man sich überlegen: Wie kann ich die Person unterstützen, die mich interessiert? Ein Angebot könnte in Form einer Frage lauten: "Suchen Sie Unterstützung?" Ehrenämter sind eine weitere Möglichkeit, sein Netzwerk auszubauen. Wer anderen hilft, erwirbt Fähigkeiten - und lernt neue Menschen kennen. "Oft kommt der Erfolg nicht sofort. Aber jedes Netzwerken erhöht die eigenen Chancen auf das Weiterkommen", ist Nepomnyashcha überzeugt.
Man sollte sich nicht zu sehr aufs Profitieren versteifen, warnt die Deutsche. Manche Kontakte würden im Laufe der Jahre einfach zu Freunden oder zu Followern auf den eigenen Internetkanälen. In ihrem persönlichen Netzwerk habe auch sie Menschen in Top-Positionen, die zum Helfen nicht bereit seien. Netzwerken sei eben kein Produkt, das sich kaufen lasse. Eher gehe es darum, strategisch zu netzwerken, um möglichst viele Kontakte aufzubauen. Und wer nicht die Zeit hat, mehrere Abende in der Woche auf Veranstaltungen zu gehen? Der gehe nur auf die, die wirklich vielversprechend ausschauten, rät Natalya Nepomnyashcha.
Digitale und physische Kontakte pflegen
Nur digital Kontakte zu knüpfen und zu pflegen dürfte zu wenig sein. Verbandsaktivitäten und sonstige thematisch interessante Veranstaltungen lassen sich auf den Homepages vieler Einrichtungen finden. Nepomnyashcha: "Ich überlege, was ist mein Thema, und schaue, was es in meiner Stadt an Veranstaltungen gibt. Auf dem Berufsnetzwerk LinkedIn finden sich ebenfalls gute Netzwerkgruppen."
Auf die Frage, ob Ausländer wirklich Chancen auf Führungspositionen haben, antwortet die Sozialunternehmerin mit Ja. Bei großen Organisationen sprächen CEOs oft nicht einmal Deutsch. Wer in Deutsch nicht perfekt ist, sollte dies offen ansprechen und auf seine anderen Stärken hinweisen, meint Nepomnyashcha. Oft sei Englisch eine gute Alternative. Für ältere Menschen, die erstmals oder wieder eine gute Stelle suchen, gibt es eigene Diversity-Netzwerke. Nepomnyashcha nennt unter anderem die "Charta der Vielfalt"-Plattformen, von denen es auch eine in Österreich gibt.
Soziale Diversität in Unternehmen wichtig
Damit auch auf Unternehmens- und Politikebene für Berufseinsteiger aus sozial benachteiligten Haushalten etwas weitergeht, agiert das Netzwerk Chancen auch politisch. "Wir setzen uns dafür ein, dass die soziale Herkunft genauso wie etwa das Geschlecht als Diversity-Faktor anerkannt wird", erklärt Natalya Nepomnyashcha. Für Unternehmen lohne es sich, eine sozial diverse Belegschaft zu haben. Sie würden innovativer, weil die Belegschaft unterschiedlich denke und daher unterschiedliche Lösungsansätze einbringe. Sie rät Unternehmen, Mitarbeitenden die Teilnahme an kostenpflichtigen Events zum Netzwerken zu ermöglichen. Oder diese zu motivieren, auf kostenlose Events zu gehen - und sie gegebenenfalls zu instruieren, wie sie sich dort geben sollen.