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Nachfrage nach 24-Stunden-Betreuerinnen aus Osteuropa steigt

Für fünf Euro in der Stunde: In Österreich nehmen rund 9,4% der Pflegegeldbezieher eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch. Meist wird diese Arbeit von Frauen aus ost- und südosteuropäischen Ländern ausgeführt. Doch welche Zukunft haben diese Jobs?

Zurzeit kommen die meisten Betreuerinnen aus Rumänien.
Zurzeit kommen die meisten Betreuerinnen aus Rumänien.

So ziemlich jede Branche würde über eine steigende Nachfrage nach ihren Dienstleistungen jubeln. Der Pflegebereich wohl weniger. Bis 2050 wird die Anzahl der über 85-Jährigen von heute 223.000 auf 583.000 Personen ansteigen, bis 2030 wird es gegenüber 2015 17 Prozent mehr Einpersonenhaushalte geben. Teuer wird es wahrscheinlich ab 2040, wenn laut Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo die ersten Babyboomer in das Alter kommen, in dem Pflegedienstleistungen wahrscheinlicher werden: Das Wifo schätzt, dass sich die Kosten der Pflegedienstleistungen zwischen 2017 und 2025 um fast 50 Prozent auf 2,9 Mrd. Euro pro Jahr erhöhen werden, bis 2040 um rund 180 Prozent auf 5,5 Mrd. und bis 2050 um rund 360 Prozent auf 9 Mrd. Euro. Im Durchschnitt also um 4,5 Prozent pro Jahr. Doch woher das Geld dafür nehmen und vor allem das Personal?

9,2% nehmen 24-Stunden-Betreuung in Anspruch

Noch immer werden in Österreich zwei Drittel der Pflegegeldbezieher von ihren Angehörigen gepflegt - 30 Prozent vom Partner, 24 Prozent von den Töchtern, 12 Prozent von Söhnen. 9,2 Prozent nehmen eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch, meist ausgeführt von Frauen aus ost- und südosteuropäischen Ländern. Vor knapp 15 Jahren war das noch illegal. Heute können diese Arbeitskräfte in Österreich regulär ein Gewerbe anmelden, aktuell sind so 66.000 Personen registriert. Der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel musste klein beigeben und zugeben, seine Schwiegermutter von einer Slowakin betreuen zu lassen, wodurch die Frauen aus Osteuropa zum ersten Mal in den Fokus der Öffentlichkeit kamen.

Mit Corona und der Grenzschließung waren es die Arbeitskräfte aus dem Osten nun wieder. Die einen durften nicht ins Land, die anderen zwang Corona zum längeren Verbleib in Österreich. Einige wurden an Haushalte weitervermittelt, deren Betreuungskraft im jeweiligen Heimatland "festsaß". Dafür gab es von den Bundesländern einen "Bleib da"-Bonus von 500 Euro. Zum Teil wurden geschlossene Kuranstalten für zu pflegende Menschen gerüstet, was aber kaum in Anspruch genommen wurde, zudem hat man vermehrt auf die Betreuung durch Angehörige zurückgegriffen. Auch wenn sich seit der "Legalisierung" der 24-Stunden-Pflege vor 15 Jahren einiges getan hat - es gibt Vertragsempfehlungen für die Frauen, verpflichtende Standes- und Ausübungsregeln, eine Personenbetreuer/-innen-Akademie und ein staatliches Gütesiegel für die Vermittlungsagenturen -, gebe es kaum Österreicherinnen, die den Job verrichten, sagt Angelika Pozdena von der Agentur Cura Domo. Pro Jahr steige die Nachfrage nach Betreuungspersonal im hohen einstelligen Bereich, sagt Pozdena, geeignete Kräfte zu finden sei schwierig geworden, oft, weil notwendige Voraussetzungen wie Sprachbeherrschung, Ausbildung oder Stressresistenz fehlten. Weil das Lohnniveau in der Slowakei, lange Zeit das Hauptherkunftsland der Frauen, zuletzt gestiegen ist, bleiben die ersten Kräfte aus, heute kommen die meisten Betreuerinnen aus Rumänien, wo das Durchschnittseinkommen bei etwa 300 Euro liegt. Angelika Pozdena rechnet damit, dass man mittelfristig das Betreuungspersonal außerhalb der EU werde suchen müssen.

Fünf Euro in der Stunde

Dass das 24-Stunden-Pflegemodell noch länger seine Gültigkeit haben und auch funktionieren wird, glaubt Ulrike Famira-Mühlberger vom Wifo. Heimisches Personal sieht sie dort ebenfalls nicht, der Stundenlohn liege, realistisch betrachtet, "irgendwo bei fünf Euro", je nach Vermittlungsagentur. Hochrechnungen des Wifo zeigen, dass die derzeitige Form der 24-Stunden-Pflege im Jahr brutto rund 25.500 Euro kostet, in einem angenommenen Angestelltenverhältnis mit festgelegter Stundenzahl, Weihnachts- und Urlaubsgeld etc. würde sich der Betrag auf 42.600 Euro brutto pro Jahr erhöhen. So gesehen sei die 24-Stunden-Pflege zumindest ab der oberen Mittelschicht ein System, von dem alle Akteure profitierten, sagt die Ökonomin Famira-Mühlberger: die Betreuungskräfte, weil sie in ihren Heimatländern nur einen schlechten bis keinen Arbeitsmarkt vorfinden, die Familien, weil die zu übernehmenden Summen, die nach Pflegegeld und Förderung übrig blieben, in der Regel überschaubar seien, und der öffentliche Sektor, der sich Geld spart, nicht zuletzt, weil die stationäre Pflege um einiges mehr kostet. Das System der 24-Stunden-Pflege, bedient von Frauen aus den osteuropäischen Ländern, gebe es wegen der relativ geringen Distanz dorthin hauptsächlich in Österreich, betont Famira-Mühlberger, in Ländern wie den Niederlanden oder Skandinavien seien hingegen professionelle Pflegedienste besser ausgebaut. Hier hilft dem österreichischen Staat auch eine Vielzahl an pflegebereiten Angehörigen (informelle Pflege) beim Sparen: Die Ausgaben für professionelle Pflegedienste liegen bei 1,5 Prozent des BIP in Österreich gegenüber 3,5 Prozent in Skandinavien.

Künftig werde wohl die informelle Pflege sinken, weil vor allem gut ausgebildete Frauen nicht mehr auf ihren Beruf werden verzichten wollen, schätzt Famira-Mühlberger. Sie rechnet damit, dass mit der Generation der heute 50- und 60-Jährigen ein Einstellungswandel kommt: Sie nehmen mehr Dienstleistungen, etwa eine Reinigungskraft oder den Babysitter, in Anspruch und würden im Gegenzug von den Kindern weniger Pflege und Betreuung einfordern, sondern sich eher in stationäre Pflege begeben, deren Ausbau bereits jetzt in Betracht gezogen werden sollte. Auch die künftige Nachfrage nach Pflegepersonal müsse man jetzt schon ernst nehmen.