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Gemeinwohl-Ökonomie: "Jeder Mensch hat Talente"

Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut. Ein Mittersiller Familienbetrieb sieht das anders: Fahnen-Gärtner schaut auf die Belegschaft. Mit Erfolg.

Fahnen-Gärtner-Geschäftsführer Gerald Heerdegen setzt auf Teamgeist.
Fahnen-Gärtner-Geschäftsführer Gerald Heerdegen setzt auf Teamgeist.

"Wir haben die Fahne im Fokus und den Menschen im Mittelpunkt." Das ist das Credo bei der Fahnen-Gärtner GmbH. Vor ein paar Jahren sei er dafür noch belächelt worden, erinnert sich Geschäftsführer Gerald Heerdegen. Inzwischen denken immer mehr Unternehmen um: "Ich kann nur jeden motivieren, auf seine Mitarbeiter zu schauen. Und das nicht nur, weil es immer schwieriger wird, welche zu finden", ist er überzeugt, "sondern weil wir es als Gesellschaft letzten Endes nur gemeinsam schaffen können."

Fahnen-Gärtner produziert seit 1945 in Mittersill Werbematerialien, Banner und Flaggen. Der Familienbetrieb hat den Anspruch, ein "Unternehmen der Menschlichkeit" zu sein. Und wendet sich von alten Leistungsdoktrinen ab. "Wenn ich eine Prämie ausschreibe, bringt das natürlich kurzfristig etwas. Aber die Karotte muss immer größer werden", ist Heerdegen überzeugt.

Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie

Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 gibt es nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch in den Wirtschaftswissenschaften eine immer größere Bereitschaft, alternative Wirtschaftsmodelle zu entwickeln. Ein solches ist die Gemeinwohl-Ökonomie. "Ihr Ziel: das bestehende monetäre Wirtschaftssystem in ein werteorientiertes zu verwandeln", erläutert Sabine Lehner. Sie ist in Salzburg eine der Vorreiterinnen der inzwischen globalen Bewegung. Mit ihrer MARKENwerkstatt berät sie Unternehmen, wie diese Werte und Qualität vor das Streben nach Quantität stellen können. Als Instrument dazu dient die Gemeinwohl-Bilanz. "Sie ist ein ganzheitlicher Bericht, der zu allen Themen Stellung bezieht. Lieferanten, Eigentümer und Finanzpartner, Mitarbeitende, Kunden sowie das gesellschaftliche Umfeld werden nach den Parametern Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung betrachtet. So entsteht eine Matrix aus 20 Themenfeldern, entwickelt von Unternehmen für Unternehmen, nicht aus Wissenschaft und Theorie", erklärt Lehner. Allein im Bundesland Salzburg gibt es an die 50 Unternehmen, die bereits nach diesem Modell bilanzieren, österreichweit sind es 300. Fahnen-Gärtner hat die erste Gemeinwohl-Bilanz 2018 erstellt. Einer ihrer großen Vorteile ist für Gerald Heerdegen der Blick nach vorn: "Man sieht, wo der Betrieb noch Entwicklungspotenzial hat. Mit gezielten Projekten kann man ihn dann weiterbringen."

Beschäftigte bringen Anliegen ein

Per Fragebogen eruiert Fahnen-Gärtner daher regelmäßig, was die 95 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umtreibt. Ganz aktuell: eine freiwillige Vitamin-D-Studie, die Beschäftigte besser gegen die Grippesaison wappnen soll. Gesundheit ist ohnehin ein großes Thema: Bereits seit 2010 ist eine wichtige Säule der Unternehmenskultur das mehrfach ausgezeichnete Gesundheitsprogramm Xundi, das die Belegschaft selbst ins Leben gerufen hat. Heute umfasst es Sport- und Bewegungskurse von Squash bis Yoga, Kochkurse, Fortbildungen zum Umgang mit medialer Reizüberflutung oder gemeinsame Wandertage. Auch die Betriebskantine ist Teil von Xundi: Dort legt man Wert auf frische, regionale und gesunde Produkte. Das Gemüse kommt aus dem eigenen Betriebsgarten.

Die Unternehmenskultur zeichnet sich durch sinnstiftende Arbeitsplätze aus und durch ein hohes Maß an Mitbestimmung und Selbstorganisation der Belegschaft. So können sich die Beschäftigten ihre Arbeitszeit - "selbst in der Produktion" - frei einteilen. "Die Gleitzeit gilt bei uns nicht nur stundenweise, sondern ist sehr flexibel", sagt Geschäftsführer Heerdegen. So könne die Mama ihr Kind um 8 Uhr in den Kindergarten bringen und zu Mittag wieder abholen, ihr Kollege seinen Bruder pflegen, ein anderer spontan einen freien Tag einlegen, um auf den Berg zu gehen - "solange das betrieblich möglich ist".

Was Heerdegen als entscheidend für die Unternehmenskultur sieht? Die Leitung und ihr Menschenbild. "Ich bin überzeugt: Jeder Mensch ist von Grund auf motiviert und hat Talente. Ideal wäre es, wenn die Talente mit der Aufgabe im Betrieb zusammenstimmen. Geld verdienen müssen wir alle, aber wenn ich das Geldverdienen mit etwas kombiniere, das ich gern und gut mache, dann mache ich's automatisch besser." Wie Heerdegen die Talente seiner Beschäftigten abklopft? "Unsere sechs Lehrlinge etwa können in verschiedene Bereiche und Abteilungen hineinschnuppern. Da zeigt sich: Die einen haben mehr Talent für den Verkauf, die anderen für die Buchhaltung. Oft merken Menschen auch später: Das ist nichts für mich. Dann schaue ich, dass wir eine Möglichkeit finden, den Aufgabenbereich zu ändern." Stärken werden durch Weiterbildungen gefördert, Führungskräfte regelmäßig in Feedback oder Konfliktmanagement geschult.

Dieses Engagement kostet Zeit, Geld und Durchhaltevermögen. Belohnt wird der Betrieb mit motivierten Beschäftigten - und einer Krankenstandsquote von unter zwei Prozent. Im Österreich-Schnitt ist diese doppelt so hoch. "Das Wichtigste ist aber: dass es den Menschen gut geht. Wer tagsüber etwas tut, das er gern tut, hat mehr Kraft für sich, sein Leben, die Familie. Das ist das Beste für uns als Gesellschaft. Zufriedene Mitarbeiter tun auch der Allgemeinheit gut."

UNTERNEHMENSKONGRESS



360˚//Good Economy Forum - Wirtschaft nachhaltig leben

24. und 25. Oktober 2022, St. Virgil, Ernst-Grein-Straße 14, 5020 Salzburg

Zielgruppe: Zukunftsorientierte Betriebe und kommunale Einrichtungen

Inhalte: Unternehmen und Gemeinden berichten, wie Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis gelebt wird und welche positiven Auswirkungen sie damit erzielen. Präsentiert werden außerdem wirkungsvolle Methoden und Formate der strategischen Unternehmensentwicklung für eine wirtschaftlich ganzheitliche und erfolgreiche Zukunft.

Information und Anmeldung:austria.ecogood.org/360-forum

UNTERNEHMENSKULTUR. BESCHÄFTIGTE BRAUCHEN SINN



Motivation, Commitment und Bindung

Diese Werte sind für Unternehmen in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels ein wesentliches strategisches Ziel geworden. Denn Unternehmen mit schwacher Kultur haben schlechte Karten, wenn es darum geht, als Arbeitgebende attraktiv zu sein und zu bleiben. Das zeigt die "Purpose ready"-Studie des Wiener Meinungsforschers und Recruiting-Experten Herbert Kling. Befragt hat er dafür 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Hierarchiestufen in österreichischen Unternehmen.

Greifbares "Why" schafft Bindung

Die Studie zeigt: Rund 40 Prozent der unselbstständig Erwerbstätigen haben in den vergangenen sechs Monaten darüber nachgedacht, einen neuen Job zu suchen, 13 Prozent verschickten Bewerbungen und 5 Prozent haben sich aus dem Rennen genommen. Sie sind zu frustriert, um sich überhaupt noch Chancen auf ein glücklicheres Arbeitsleben auszurechnen. "Das sind natürlich keine guten Nachrichten für Personalverantwortliche", fasst Kling zusammen. "Mehr als die Hälfte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfindet gegenüber ihren Arbeitgebenden keine besondere Loyalität." Innerlich gekündigt haben vor allem Beschäftigte von Unternehmen, die weder für Sinn noch für Führungsqualitäten stehen. Dieses Phänomen zieht sich durch alle Branchen. Wenn in einem Unternehmen Werte herausgeschält wurden und diese auch erkennbar gelebt werden, ist die Zufriedenheit eine deutlich höhere.

Vorgegaukelte Werte werden abgestraft

Wobei: Das Postulieren eines Warum allein reicht nicht aus - im Gegenteil. Unternehmen, die Werte vor sich hertragen, ohne sie im Alltag zu leben, schneiden in der Studie deutlich schlechter ab als jene, die keine Werte formulieren, dafür aber mit Freiheiten oder anderen Benefits punkten können. "Wir sollten das als eindeutige Absage an ,Purpose Washing' interpretieren", so Kling. "Viele Menschen haben ein Gespür entwickelt, das sie warnt, wenn sie mit reinen Fassaden konfrontiert werden." Das Fazit der Studie: Unternehmen, die Werte nur vorgaukeln, tun sich keinen Gefallen, wenn es darum geht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und zu halten.