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Die Macht des Visualisierens

Gelingendes Lernen mit Stift und Papier. "Alles ist visualisierbar", sagt Mägi Brändle - wie man sein Gehirn aktiviert und sich Inhalte erfolgreich merkt.

Menschen sind visuelle Wesen - davon ist Mägi Brändle überzeugt. Sollen Informationen dauerhaft im Gehirn gespeichert werden, braucht es die Kombination aus Bild und Text ebenso wie die aktive Beschäftigung mit dem Inhalt. "Visualisierung ist Aktivierung", sagt die Autorin. Wie man das zielgerichtet umsetzt, behandelt Brändle in ihrem jüngst erschienenen Buch "Alles ist visualisierbar".

Wie funktioniert das Visualisieren - welche Materialien braucht man dafür? Mägi Brändle: Fürs Visualisieren braucht man einen Stift und Papier. Das ist schon alles. Natürlich kann man auch einen digitalen Stift und einen Touchscreen verwenden. Allerdings empfehle ich Anfängerinnen und Anfängern, auf Papier zu arbeiten, weil es da keine Rücktaste gibt und man nicht alles korrigieren kann. Zu Beginn ist es wichtig, einfach loszulegen und nicht den Anspruch zu haben, dass es schon perfekt aussieht. Die Rücktaste ist da nur hinderlich. Beim Stift ist es wichtig, dass er gut über das Papier gleitet. Fineliner oder Tuschestifte eignen sich besonders gut.

Für wen ist Ihr Ansatz geeignet? Für alle, die nach dem Lesen der obigen Zeilen neugierig geworden sind. Sicher aber für alle, die sich durch Visualisierungen angesprochen fühlen und das gerne auch können möchten. Es gibt keine Alters- oder sonstigen Beschränkungen. Das Tolle am Visualisieren ist ja, dass man es wirklich überall einsetzen kann: für To-do-Listen, Projektplanungen, im Unterricht, für Geburtstagseinladungen, in Sitzungen, bei Präsentationen oder auch für den nächsten Einkaufszettel.

Ich selbst habe mit dem Visualisieren begonnen, um meinen Studierenden an der Fachhochschule einen besseren Überblick über die Unterrichtsinhalte zu ermöglichen und komplexe Sachverhalte zu erklären. Sie fanden das extrem hilfreich, auch als die Visualisierungen noch nicht so ansprechend waren, wie ich das gerne gehabt hätte.

Bild: SN/privat
Visualisieren ist eine universelle Kommunikationstechnik.
Mägi Brändle, Autorin

Welchen Zugang haben Sie selbst zum Visualisieren? Ich sehe das Visualisieren als eine universelle Kommunikationstechnik, die man sich mit etwas Übung relativ leicht aneignen kann. Das sogenannte visuelle Alphabet basiert auf geraden Strichen, Rechtecken, Dreiecken, Bogen, Kreisen und Punkten. Aus diesen Elementen können alle Icons zusammengesetzt werden. Diese Icons sind sozusagen das Vokabular der visuellen Sprache. Wenn man also schreiben kann, kann man auch visualisieren.

Inwiefern können Visualisierungen beim Lernen helfen? Es zeigt sich, dass Visualisieren eine sehr gehirnstimulierende Tätigkeit ist, die auch noch positive Auswirkungen auf die Motorik hat. Kreativität entsteht zudem, wenn im Gehirn neue Verknüpfungen zwischen schon vorhandenem "Ausgangsmaterial" entstehen. Visualisieren kann solche Verknüpfungen sicher begünstigen. Das habe ich an mir selbst und an vielen Kursteilnehmenden erlebt. Es ist eine Art Gehirnjogging, weil es auch dazu zwingt, neue Kombinationen von bestehenden Elementen zu wagen. Zudem werden beim Visualisieren diese Elemente immer auch mit Text verbunden. Wir können uns Dinge am besten merken, wenn wir Bild und Text kombinieren. Das bietet sich insbesondere auch für Zusammenfassungen von Lerninhalten an.

Hier kommen die sogenannten Sketchnotes ins Spiel. Wie bei klassischen Textnotizen notiert man sich für Sketchnotes die wichtigsten Inhalte, versieht sie aber mit passenden Visualisierungen. Im Unterschied zu Textnotizen schaut man sich Sketchnotes gerne ein zweites oder drittes Mal wieder an. Das ist die beste Voraussetzung, um sich den Inhalt zu merken.

Wie gehe ich mit anfänglichen Unsicherheiten um? Es gibt laut Neurowissenschafter Wolf Singer im Gehirn Belohnungssysteme, welche uns Freude empfinden lassen, wenn wir kreativ sind. Voraussetzung dafür ist aber, dass wir unsere innere kritische Stimme zum Schweigen bringen, wenn wir beginnen. Dabei hilft, dass Visualisieren nicht gleich Zeichnen ist. Beim Visualisieren geht es nicht um Kunst, sondern um die Vermittlung oder Verarbeitung von Informationen. Deshalb: Jede Visualisierung ist besser als keine Visualisierung. Ich bezeichne die Visualisierung auch gerne als Schwester der Zeichnung. Die beiden haben verschiedene Ziele. Und das Beste daran: Um visualisieren zu können, muss man nicht zeichnen können.

Wie kann das Visualisieren mit Stift und Papier für Schülerinnen und Schüler im Unterricht Platz finden? Visualisieren als Kommunikationstechnik sollte aus meiner Sicht an Schulen gelernt werden. Spätestens ab zirka zwölf Jahren. Dies aber nicht in Konkurrenz zum bildnerischen Gestalten, sondern als Arbeitstechnik. So können Schülerinnen und Schüler lernen, übersichtliche Zusammenfassungen zu erstellen und zum Beispiel auch eigenen Ideen ein Gesicht zu geben. Visualisierungen sind das beste Werkzeug, um unsere Ideen, Wünsche oder Ziele sichtbar zu machen. Um es mit dem Visualisierungsexperten Doug Neill zu sagen, können uns Visualisierungen helfen, den Schritt von der Idee zur Umsetzung zu wagen.

Visualisierungen sind aber vor allem auch für Lehrpersonen sehr sinnvoll. Sie können Programme, Abläufe oder Aufträge für die Lernenden erstellen oder auch mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam Zusammenfassungen oder Ziele visualisieren. Gerade auch für junge Leute mit fremdsprachigem Hintergrund können Visualisierungen eine echte Stütze sein.

Die Förderung der Kreativität durch das Visualisieren ist aber allein schon Grund genug, warum es in den Schulzimmern Einzug halten sollte. Kreativität gehört zu den vier "21st Century Skills", neben Kommunikation, Kollaboration und kritischem Denken. Visualisieren fördert aus meiner Sicht alle vier dieser Kompetenzen.

Buchtipp: Mägi Brändle, "Alles ist visualisierbar. Nehmen Sie den Stift selbst in die Hand", 2022, hep-Verlag.