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Stiegl-Eigentümer Heinrich Dieter Kiener im Exklusivinterview

Die Entwicklung neuer Produkte ist für jedes Unternehmen eine Herausforderung. Der Stiegl-Eigentümer erklärt, wie neue Produkte kreiert werden.

Heinrich Dieter Kiener :„Der Mensch ist wichtiger als das Geld.“
Heinrich Dieter Kiener :„Der Mensch ist wichtiger als das Geld.“
Stiegl-Eigentümer Heinrich Dieter Kiener.
Stiegl-Eigentümer Heinrich Dieter Kiener.

Bier, das war über Jahrzehnte ein Massengetränk zwischen Baustelle und Schankbetrieb. Doch inzwischen hat sich viel verändert. Bier ist zu einem Genussgetränk geworden, verschiedene Stile und Geschmacksrichtungen sind gefragt und auch die Themen Gesundheit und Natur spielen nun eine Rolle. Die meisten Brauereien haben darauf längst reagiert. Die Stieglbrauerei in Salzburg experimentiert auf hohem Niveau, etwa am Biergut Wildshut, um neuen Kreationen auf die Spur zu kommen. Im Fokus steht dabei nicht nur das Endprodukt, sondern auch der Weg dahin. Stiegl-Eigentümer Heinrich Dieter Kiener erklärt im SN-Interview, wie neue Produkte kreiert werden und was das mit der Bodenzusammensetzung in Zistersdorf zu tun hat.

Was machen Familienunternehmen anders als große Konzerne? Kiener: Wir leben in einer bipolaren Welt. Bei Familienunternehmen steht der Mensch im Mittelpunkt. Die Frage lautet: Was produzieren wir für die Menschen und in welcher Qualität? Bei den anderen Unternehmen steht dagegen Geldverdienen im Mittelpunkt. Wenn es keine Familienunternehmen und KMU (kleine und mittlere Unternehmen, Anm.) gibt, wächst die Gefahr, dass Geld wichtiger wird als der Mensch. In unserer Branche ist das noch wichtiger, angesichts etwa der zunehmenden Unverträglichkeiten. Wir versuchen deshalb mit dem Biergut in Wildshut alte Getreidesorten zu erhalten und zu beleben. Das bringt zwar weniger Ertrag, aber ist viel verträglicher für die Menschen.

Aber müssen nicht auch Familienbetriebe Geld verdienen? Kiener: Ich würde das eher als Wertschöpfung bezeichnen. Nur durch Qualität kann man das Vertrauen der Kunden erlangen. Das Produkt muss es den Kunden auch wert sein. Wenn man hochwertige Produkte oder Dienstleistungen anbietet, kommt das Geld von allein. Bei den großen Konzernen kommt immer zuerst das Geld. Und das ist auch der zweite große Unterschied. Dort agiert die Führung oft kurzfristig. Ein Familienunternehmen kann langfristig denken und auch einmal ein Jahr auf den Ertrag verzichten, wenn es den Menschen und dem Gesamtunternehmen dient.

Wie entwickelt man zum Beispiel bei Ihnen im Haus ein neues Produkt? Kiener: Wir schauen, welche Kundenbedürfnisse es am Markt gibt. Das läuft oft über den Verkauf, der die Nachfrage kennt. So kommt es zu neuen Produktinnovationen, bei denen wieder der Mensch im Mittelpunkt steht, und zwar sowohl der Kunde als auch der Mitarbeiter. Unser Kreativbraumeister Markus Trinker ist zum Beispiel beim Thema Craft-Biere sehr gut vernetzt und in vielen entsprechenden Foren unterwegs. So können wir schon früh neue Trends erkennen, aktuell beispielsweise mit Pale Ale oder auch mit Indian Pale Ale. Ein anderer Trend ist Sour Beer, das sich von herkömmlichen Sorten geschmacklich deutlich unterscheidet. Wir haben am Standort in Salzburg nicht nur das große Sudhaus, sondern auch ein kleines, dort können wir vieles ausprobieren.

Wie werden diese neuen Biere entwickelt? Kiener: Es gibt dafür bei uns Jahresmeetings, wo Vorschläge für neue Biersorten vorgestellt werden. Die Entscheidung, welche Sorten neu aufgenommen werden sollen, fälle in letzter Instanz dann ich. Danach geht die Aufgabenstellung ans Marketing, wie und in welchem Zeitraum sich die neuen Ideen umsetzen lassen. Dabei geht es natürlich auch darum, herauszufinden, wo Potenziale stecken und wie man neue Sorten vermarkten kann.

Welche Funktion haben die Hausbiere beziehungsweise die Monatsbiere dabei? Kiener: Hausbiere sind sozusagen die kleinen Biersorten, die neben den großen, also Märzen, Pils, Weißbier, Pale Ale oder Alkoholfrei, entwickelt werden. So haben wir sechs neue Sorten für nächstes Jahr. Ist die Nachfrage groß, bleiben sie dann oft als fixer Bestandteil im Sortiment, etwa der "Gipfelstürmer". Auch das Paracelsus Bio-Zwickl ist auf diese Weise entstanden und hat sich sehr gut entwickelt. Unser Pale Ale, das "Columbus 1492", konnte auf diese Weise viel Bekanntheit erringen.

Gibt es eigentlich noch das klassische Bockbier vor Ostern und vor Weihnachten? Kiener: Das gibt es bei uns nach wie vor, allerdings ist es ein bisschen eine Konkurrenz zu den Hausbieren. Als weiteres Saisonbier hat sich das "Herbstgold" für die Zeit des Bauernherbstes sehr gut entwickelt, heuer war es schnell ausverkauft.

Welche Trends gibt es aktuell auf dem Biermarkt? Kiener: Der Trend geht verstärkt zu Bierspezialitäten, und da gibt es auch wieder Neugründungen von jungen Herstellern, die zu noch mehr Vielfalt führen. Das schon erwähnte Sour Beer ist sicher nur etwas für eine Minderheit. Interessant ist der Typ "Gose" aus Leipzig, wir planen auch eine eigene Form der Berliner Weissen für nächstes Jahr. Das sind alles Sorten, die etwa im Aperitifbereich sehr gut ankommen. Schon lang im Trend liegen die Craft-Biere. In den USA ist in den letzten Jahrzehnten manche Brauerei sehr groß geworden. Diese Riesenunternehmen haben auf der anderen Seite aber auch einen Gegentrend bewirkt: Vor allem junge Leute wollen wieder mehr Vielfalt, das war die Geburtsstunde der Craft-Biere. Wir haben auch auf andere Trends reagiert: In den 1990er-Jahren etwa hat man in den USA das Bier aus der Flasche getrunken, das war bei uns unvorstellbar. Heute ist das in den hippen Lokalen aus den kleinen Flaschen total angesagt.

Wie schaut die Brauerei-Situation in Österreich aus? Kiener: Bei uns ist die Situation etwas anders als in den USA. Hier gab es immer auch viele kleine und mittlere Brauereien, die durchaus eigene Spezialitäten produzierten. Wir haben mit dem Biergut Wildshut auch so eine kleine Produktion neu aufgestellt, mit anderen Funktionen natürlich und vor allem mit anderen Rohstoffen, die noch höherwertiger sind und gesünder. "Vom Boden ins Glas" lautet die Devise. Wir bauen alte Getreidesorten, etwa den Laufener Landweizen, dort an und verarbeiten sie auch in Wildshut. Eine solche Biersorte darf ruhig einmal ausgehen. Von Wildshut profitieren wir auch in der Großproduktion. Unsere Getreide stammen aus österreichischer Produktion aus dem Weinviertel. Viele Ideen, die wir in Wildshut ausprobieren, können wir dann dorthin transferieren. So haben wir im Weinviertel ein eigenes Bodenprojekt gestartet.

Deshalb gibt es in Wildshut auch wieder eine eigene Mälzerei? Kiener: Ja. Für den Brauprozess muss man Getreide vermälzen. Im Lauf der Jahre haben sich alle österreichischen Brauereien davon getrennt, auch wir haben seit 1985 unser Malz von der Stadlauer Malzfabrik bezogen. Nun sind wir einen Schritt zurückgegangen und haben eine eigene Mälzerei in Wildshut aufgebaut. Dort können wir mit Geschmacksnuancen und -noten experimentieren. Der nächste Schritt war dann, das Getreide selbst anzubauen. Damit das funktioniert, braucht es gute Bodenbedingungen. Ist der Boden gesund, sind auch die Pflanzen gesund, damit auch das Produkt und letztlich der Mensch.

Wie reagieren da Ihre landwirtschaftlichen Vertragspartner? Kiener: Wir arbeiten mit der Erzeugergemeinschaft Zistersdorf im Weinviertel zusammen, um den Boden natürlich aufzubereiten. Das sind langjährige Vertragspartner mit einer starken gegenseitigen Vertrauensbasis. Mit ihrer Hilfe konnten wir unsere Mengen für 2019 trotz des heurigen trockenen Sommers erhalten. In Wildshut gibt es eine achtjährige Fruchtfolge, da dient etwa Klee zur guten Untermischung. Die 130 Hektar in Wildshut sind Modell für Zistersdorf. Mit den Erkenntnissen konnten wir den Anbau von Braugerste in Zisterdorf ausweiten. Für kleinere Mengen bei den Spezialbieren arbeiten wir wie erwähnt beispielsweise mit dem Laufener Landweizen oder seinerzeit für das "Tauerngold" mit dem Tauernroggen aus dem Lungau.

Sie haben ja biologische Sorten im Angebot. Wollen Sie nicht komplett auf Bio umsteigen? Kiener: Bio bedeutet hohe Wertigkeit und Qualität. Unsere Landwirtschaft in Wildshut ist auch bio, ebenso die Hausbiere und das Paracelsus Zwickl. Aber wir brauchen eine Menge hochwertiger Rohstoffe für die gesamte Produktion, und das gibt der Markt einfach nicht her. Wir setzen dafür auf "Slow Brewing" und haben uns sehr gefreut, dass wir auf Anhieb das Slow-Brewing-Siegel erhalten haben. Und die sind sehr kritisch bei den Kriterien im Produktionsprozess!

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