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"Make Lehre great again"

"Startup Lehre" - ein neues Konzept, das nun auch in Salzburg startet, könnte den Lehrberuf wieder attraktiver machen.

Ein Lehrling arbeitet für zwei Unternehmen? „Startup Lehre“ macht es möglich.
Ein Lehrling arbeitet für zwei Unternehmen? „Startup Lehre“ macht es möglich.

Insgesamt 2308 junge Salzburgerinnen und Salzburger haben laut Wirtschaftskammer 2021 einen Lehrberuf begonnen. Immer noch gibt es rund vier Mal mehr offene Lehrstellen (1210 mit 31. Dezember 2021) als Suchende (306) im Land.

Der Salzburger Personalvermittler Robert Kastner sieht den Grund für diese klaffende Lücke unter anderem im demografischen Wandel. Doch er diagnostiziert auch ein Imageproblem, und zwar auf beiden Seiten: "Junge Menschen haben ein eher konservatives Bild vom Lehrberuf. Gleichzeitig hegt so mancher Arbeitgeber nahezu utopische Erwartungen an die jungen Leute." Wege aus dem Dilemma sieht Kastner im Dialog: "In den Mittelschulen müsste der Kontakt zwischen Betrieben und den Schülerinnen und Schülern viel früher hergestellt werden."

Zwei Betriebe, ein Lehrling

Ein weiterer Ansatz, um die Lehre facettenreicher zu gestalten, ist das neue Projekt "Startup Lehre" des Österreichischen Gewerbevereins (ÖGV), das Ende 2020 in Wien startete. Die Idee: Ein Lehrling lernt in zwei Betrieben, sowohl in einem etablierten Unternehmen als auch in einem Start-up.

Initiator und Projektleiter Hannes Heissl sieht einen klaren Mehrwert für Lehrlinge: "Die Start-up-Welt tickt ganz anders, allein schon von den täglichen Herausforderungen bis hin zur Arbeitskultur. Diese verschiedenen Blickwinkel über den Tellerrand hinaus erweitern den Horizont der jungen Leute und sollen sie motivieren." Neben der Fachausbildung in zwei Betrieben verdopple sich auch das Netzwerk, das erhöhe die späteren Berufschancen noch einmal. Den Ausbildungsvertrag geht der Lehrling meist mit dem etablierten Betrieb ein. Das bietet die nötige Sicherheit, falls das Start-up einmal strauchelt. Gleichzeitig kann sich das Start-up weiterentwickeln und ohne viel Risiko erste Schritte in die Lehrausbildung wagen.

Pioniere kommen aus Wien, "Startup Lehre" bald auch in Salzburg

In Wien sind kürzlich die ersten beiden Lehrlinge mit Start-ups und erfahrenen Firmen Dreiecksbeziehungen dieser Art eingegangen. Grundsätzlich könne jeder Lehrberuf auf diese Art erlernt werden, aktuell interessieren sich eher künftige Bürokaufleute oder IT-Spezialisten für das neue Modell.

So startete eine junge Frau eine Lehre zur Applikationsentwicklerin im Software-Unternehmen LieberLieber und arbeitet gleichzeitig beim Start-up Usepat. Der ÖGV bildet selbst auch Lehrlinge aus und teilt sich nun einen Bürokauflehrling mit dem Mode-Start-up Fashiontouri.

Ronja Scherzinger, Gründerin von Fashiontouri, sieht durch "Startup Lehre" viel Potenzial für sich und ihr Unternehmen: "Als junges Start-up profitieren wir von der Erfahrung etablierter Lehrbetriebe und geben auch ihnen einen Einblick in unsere digitale Arbeitswelt. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit den Lehrlingen und darauf, ihnen einen umfassenden Zugang zu unseren vielfältigen Tätigkeitsfeldern bieten zu können. Gerade bei einem Start-up ist es wichtig, im Team unterschiedliche Perspektiven zuzulassen und Ideen einzubringen, um sie in unsere unternehmerischen Aktivitäten und Projekte zu integrieren. Wir wollen uns erfolgreich Herausforderungen stellen, voneinander lernen und gemeinsam mit den Auszubildenden wachsen. Das ist unser Ziel bei der Teilnahme an der ,Startup Lehre' des Österreichischen Gewerbevereins."

Heissl ist derzeit mit zehn weiteren Firmen-Tandems im Gespräch, um weitere gemeinsame Lehrstellen anzubieten. Weil das Interesse wächst, will Heissl mit dem Projekt auch nach Salzburg expandieren. Dafür holte er sich den Personalvermittler Robert Kastner und die New-Work-Expertin Romy Sigl mit ins Boot. Kastner will in den nächsten Monaten rund 80 etablierte Salzburger Unternehmen aus seinem Netzwerk ansprechen, denn die seien "mit einem halben motivierten Lehrling immer noch besser dran als mit gar keinem". Wenn Lehrlinge Interesse zeigten, fungiere er, Kastner, als erste Anlaufstelle für Informationen, beantworte Fragen und treffe für die Firmen die Vorauswahl.

Für Start-ups ein sanfter Einstieg in die Lehrlingausbildung mit geringem Risiko

Romy Sigl bringt die Salzburger Start-up-Szene ins Spiel. In dem von ihr betriebenen Coworking-Space im Salzburger Techno-Z tummeln sich viele Gründerinnen und Gründer: "Junge Unternehmen bilden selten Lehrlinge aus, dabei könnten sie sehr davon profitieren." Ein Vorbehalt, den Sigl von Start-ups kennt, sei das Thema Verantwortung. Immerhin befinde sich der Lehrling in seinen Teenagerjahren, da gebe es viele Auf und Abs. Es brauche ein starkes Gegenüber, das die jungen Menschen auch gut durch schwierige Phasen lenken kann. "Genau hier sehe ich den entscheidenden Vorteil des Modells, diesen Part würde ja das große Unternehmen übernehmen." Zudem sollen Aufwand und Risiko überschaubar sein, weil die administrativen Fragen vom erfahrenen Leitlehrbetrieb übernommen werden. Dieser holt sich wiederum den Innovationsgeist ins Haus, wenn die Lehrlinge mit frischen Impulsen und agilen Methoden wie Scrum oder Kanban zurückkommen.

Auch Martin Jager, Gründer des Start-ups Easyvegan, findet Gefallen an der Idee der "Startup Lehre": "Gerade am Beginn ist es für ein Start-up sowieso schwer, genügend Arbeit für den Lehrling zu finden. Gleichzeitig sollte man auch eine gewisse Zeit in die Entwicklung des Lehrlings investieren, die könnte bei jungen Firmen fehlen. Beides könnte durch den Verbund mit einem größeren Unternehmen für den Lehrling gut ausgeglichen werden."

Sigl und Kastner wollen im Herbst bereits drei bis fünf Firmen-Tandems in Salzburg gefunden haben, die gemeinsam eine Lehrstelle anbieten. Wichtig sei das richtige Mindset, es gehe um Kooperation und nicht um Konkurrenz. Denn beide Betriebe würden sich oftmals fürchten, dass sich der Lehrling am Ende für den jeweils anderen entscheiden könnte. "Wenn alle drei gut zusammenarbeiten, dann profitieren auch alle drei davon", so Heissl. Damit das Experiment funktioniert, navigiert der ÖGV als Unterstützer alle drei Parteien durch die Lehrzeit.

Bild: SN/ögv, christa stangl fotografie
Betriebe müssen selber etwas tun, um geeignete Fachkräfte zu bekommen.
Hannes Heissl, Initiator „Startup Lehre“

"Der Arbeitsmarkt hat sich stark verändert. Man muss selber etwas tun, um die Fachkräfte zu bekommen, die man haben will", weiß auch Heissl. Die "Startup Lehre" kann dabei ein Weg sein, um junge Leute an sich zu binden, denn eines ist für Heissl sicher: "Lehrlinge sind überaus loyale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter."

Mehr Informationen finden sich unter: www.startuplehre.at