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Tabuthema psychische Gesundheit: Wenn nichts mehr geht

Wie können Unternehmen und Führungskräfte Burn-out und Co. den Kampf ansagen?

Überbelastung, Mehrfachbelastung, Dauerbelastung: Für viele ständige Begleiter im beruflichen Alltag.
Überbelastung, Mehrfachbelastung, Dauerbelastung: Für viele ständige Begleiter im beruflichen Alltag.

Schon vor der Pandemie war die Hälfte der Bevölkerung von Burn-out betroffen, gefährdet oder zeigte Symptome einer Depression. So das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Sozialministeriums. Inzwischen ist die Arbeitsbelastung noch einmal größer geworden. Mögliche drastische Folgen: psychische Krankheiten, Arbeitsunfähigkeit, Jobverlust.

Stefanie Lintschinger von human!projekt ist Unternehmensberaterin, Coach und Dozentin. Als Projekt- und Persönlichkeitsentwicklerin weiß sie, wie man Burn-out die Zähne zeigt und warum in der Präventionsarbeit gerade Führungskräfte gefragt sind.

Warum hat das Thema Burn-out so an Bedeutung gewonnen? Stefanie Lintschinger: Zum einen ist der Umgang mit psychischen Problemen ein transparenterer geworden. Zum anderen ist das unserer Zeit geschuldet: Wir stehen unter permanentem Optimierungs- und gesellschaftlichen Druck, werden ständig mit Reizen und Informationen befeuert und sind mit mehreren Aufgaben gleichzeitig beschäftigt, während die Welt um uns laufend komplexer und technischer wird. Kurz: Wir stehen unter Überbelastung, Mehrfachbelastung und Dauerbelastung.

Mittlerweile gibt es auch eine Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO für Burn-out, allerdings nur im Businesskontext, was zu kurz greift, denn Burn-out kann jeden Lebensbereich betreffen.

"Wie Chefs vorbeugen können: Hinhören, -schauen, Vorbild sein."
Stefanie Lintschinger
Projekt- und Persönlichkeitsentwicklerin

Was ist Burn-out eigentlich? Burn-out ist ein Prozess von Euphorie, Motivation und unbändiger Energie hin zu Pessimismus und Antriebslosigkeit. Am Ende steht ein Gefühl der Leere, der Sinnlosigkeit, der Hoffnungslosigkeit. Ein Burn-out entsteht letztlich aus einer Disbalance zwischen Belastung und Ausgleich: Werte und Bedürfnisse eines Menschen werden permanent übergangen - von außen, aber auch von ihm selbst.

Wer ist besonders anfällig? Burn-out gilt als typische Managerkrankheit. Das ist es aber nicht. Genauso betrifft es Menschen in lehrenden oder psychosozialen Berufen oder pflegende Angehörige. Was häufig dahinter liegt, ist ein Selbstwertthema. Der Grundstein dafür wird oft in der Kindheit gelegt, mit Glaubenssätzen wie: So wie ich bin, genüge ich nicht. Anerkennung bekomme ich nur durch Leistung.

Psychische Gesundheit als Tabu: Wie sagt man's dem Arbeitgeber? Geholfen werden kann nur dem, der darüber spricht. Das ist der erste Schritt zur Heilung. Wenn einem die Kraft fehlt, direkt mit dem oder der Vorgesetzten zu sprechen, helfen Vertrauenspersonen im Unternehmen, Betriebsärztinnen und -ärzte oder die Personalabteilung.

Welche Auswirkungen hat Burn-out auf ein Unternehmen? Im Schnitt fallen Betroffene neun Monate aus. Nicht nur sie leiden: Der Schaden für den Betrieb - und das Gesundheitssystem - ist erheblich. Auch für die Reputation eines Unternehmens ist Burn-out eine Katastrophe, gerade in Zeiten, in denen Firmen um Fachkräfte kämpfen müssen. Und: Es trifft meist die Zugpferde, die Macherinnen und Macher, die, die etwas weiterbringen.

Es genesen wenige - viele begreifen die Krise als Chance und orientieren sich beruflich neu. Sie kehren entweder gar nicht zurück ins ursprüngliche Umfeld oder oft nur mit reduzierten Stunden.

Wie können Führungskräfte ihre Mitarbeitenden schützen? Es ist wie bei einer Feuerübung: Sie findet regelmäßig statt, auch wenn es nicht brennt. Wenn es dann doch einmal ernst wird, gibt es etablierte Abläufe. Prävention ist das A und O: Unternehmen müssen Beschäftigte regelmäßig informieren und Führungskräfte schulen, die ja in besonderem Maße betroffen sind. Wichtig ist, im Dialog zu sein, hinzuschauen, hinzuhören, welche Bedürfnisse Mitarbeitende haben. Dafür braucht es einen Wandel im Rollenverständnis von Chefs: weg vom autoritären hin zum transformationalen Führen. Aufgabe dabei ist es vor allem, zu inspirieren, zu befähigen, eine Vision vorzugeben. Dazu gehört auch, regelmäßig Feedback zu geben und einzuholen, realistisch zu planen, zu priorisieren und zu schauen, wo die Leistungsgrenzen der Mitarbeitenden sind. Führungskräfte müssen in der Prävention auch selbst Vorbild sein.

Wie beugt man selbst vor? Meinen Klientinnen und Klienten rate ich: nicht nur auf Anerkennung von außen warten, sondern sich auch einmal selbst auf die Schulter klopfen! Wichtig ist, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, seine Werte zu kennen und danach zu handeln, die eigenen Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen. Dazu gehört, auf die Ernährung zu achten, genug zu schlafen, Pausen, Me-Time und Bewegung in den Kalender einzutragen und auch Nein zu sagen - gerade in Stressphasen. Mit sich selbst und auch dem sozialen Umfeld in Kontakt zu sein stärkt ungemein.

Was hilft in der Genesungsphase? Wichtig ist rasche professionelle Hilfe! Dabei geht es dann oft darum, den eigenen Selbstwertproblemen auf die Spur zu kommen, sich selbst der beste Freund, die beste Freundin zu werden, übermäßige Standards abzubauen und soziale wie emotionale Kompetenzen zu trainieren. Was Betroffene aber vor allem brauchen: Ruhe und Zeit.

Was müsste sich in der Arbeitswelt ändern, um Burn-out einzudämmen? Es braucht ein Klima, das nicht von Druck und Macht geprägt ist. Hochleistungs- und Erholungsphasen müssen sich abwechseln, Regenerationsmöglichkeiten bewusst angeboten werden. Kernaufgabe von Führungskräften ist der Blick auf die Beschäftigten. Schon im Onboarding sollten sie sich Gedanken über deren Bedürfnisse machen und aktiv einladen, Anliegen regelmäßig einzubringen, etwa beim monatlichen Teamfrühstück. Wichtig: Auf Worte müssen Taten folgen!

Burn-out Erkennen und vorbeugen

Ein Burn-out kündigt sich oft früh an. "Anfangs fühlen sich viele Betroffene wie in einem Hamsterrad - als ob niemand sie unterstützt und alles auf sie zurückfällt", sagt Patrizia Tonin, Vorsitzende der Österreichischen Vereinigung für Supervision und Coaching (ÖVS). Zu den Früherkennungsmerkmalen eines drohenden Burn-outs gehören: der Zwang, sich beweisen zu müssen, Perfektionismus und Versagensängste, das Gefühl, unentbehrlich zu sein. Eigene Bedürfnisse bleiben auf der Strecke.

Auffälligstes Warnzeichen, dass Betroffene sich in den frühen Phasen eines Burn-outs befinden, ist der soziale Rückzug. Die Arbeit wird zur obersten Priorität, soziale Kontakte und Hobbys immer mehr zur Belastung. "Viele Betroffene fühlen sich erschöpft, schlafen schlecht und ziehen sich zurück. Die Gedanken kreisen auch in der Freizeit ständig um die Arbeit", erklärt Tonin. Die besonders kritische Phase startet laut der Expertin da, wo ein Abschalten nicht mehr möglich ist und deutlich beobachtbare Verhaltensänderungen auftreten, zum Beispiel andauernd schlechte Laune, Gleichgültigkeit, Kritikunfähigkeit. "Wenn die Leistung auffällig abnimmt oder Beschäftigte sich ungewohnt ablehnend verhalten, sollten Führungskräfte das Gespräch suchen."

Fühlen sich Betroffene wie "ferngesteuert" und vernachlässigen ihre Gesundheit, steht ein Burn-out kurz bevor. "Die Emotionen der Betroffenen werden kurz vor dem Burn-out zur Achterbahnfahrt - sie sind erschöpft, innerlich leer, gereizt, haben Angst, die Aufgaben nicht mehr zu bewältigen", sagt Tonin. Burn-out wird gefährlich, wenn sich körperliche Symptome wie Verspannungen, Herzrasen, Bluthochdruck verfestigen. Im schlimmsten Fall kommt es zum körperlichen, psychischen und emotionalen Zusammenbruch.

Bereits bevor Symptome auftreten, können Schritte gesetzt werden, um ein Burn-out zu vermeiden. "Etwa durch die Beauftragung von Supervision und Coaching für Teams oder Einzelne", erklärt Gerald Käfer-Schmid, Geschäftsführer der ÖVS. "Diese Fachleute unterstützen dabei, Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen. Gemeinsam werden Lösungen für eine verbesserte Work-Life-Balance erarbeitet und Ziele und Prioritäten reflektiert."