SN.AT / Leben / Karriere

Studieren für Individualisten

Studium irregulare. Beim individuellen Studium bastelt man sich ein eigenes Curriculum. Der Aufwand ist groß - lohnt er sich?

Eins. Das ist die Anzahl an Studierenden, die in den Master Abfallentsorgung, Geotechnik und Bodenschutz inskribiert sind. Diese Studentin heißt Severina Irsigler. Es ist ihr individuelles Studium.

Die Möglichkeit, es sich frei zusammenzustellen, gibt es seit 1966. Allerdings nur an Unis, an Fachhochschulen ist kein Studium irregulare vorgesehen. Das selbst gebastelte Curriculum muss vom Vizerektor für Lehre genehmigt werden, sagt Elba Frank vom ÖH-Beratungszentrums an der Uni Salzburg.

"Alle Lehrveranstaltungen samt ECTS (Leistungspunkten, Anm.) müssen aufgelistet werden. Und der Studierende muss begründen, was der Unterschied zu den bisher angebotenen Studien ist." Das Argument, dass es ein Fach an dem gewünschten Standort nicht gebe, gelte nicht. Das Curriculum muss in ganz Österreich neu sein. Als Studienanfänger sei das kaum zu schaffen. "Man muss wissen, wie Uni abläuft, damit man den Umfang abschätzen kann."

Es hat mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis die Universität für Bodenkultur in Wien dem Curriculum von Irsigler zugestimmt hat. Einen Teil der Lehrveranstaltungen absolviert sie an der TU Wien. "Die Professoren haben mir Tipps gegeben, welche Fächer zueinander passen." Das Studium irregulare ist der zweite Master der 25-jährigen Oberösterreicherin: Sie studierte auch Kulturtechnik und Wasserwirtschaft an der Boku. Doch dort konnte sie nur bis zu sechs Module wählen - und Irsigler wollte mehr. "Ich habe in den Bereichen Deponiebau, Altlasten und Bodenschutz Praktika gemacht und wollte die Vorlesungen einfach für mich belegen."

Im Wintersemester 2017/2018 waren 702 Personen in ein individuelles Studium inskribiert, gerade 0,23 Prozent aller Studenten. Der Großteil davon in einem eigens gestalteten Master. Das sind in etwa so viele, wie in Angewandte Kulturwissenschaft in Österreich eingeschrieben sind.

Warum gibt es das individuelle Studium?

In Salzburg landen die Anträge der Individualisten bei Erich Müller. Er ist Vizerektor für Lehre. Ist es leicht, ihn von einem Studienplan zu überzeugen, der nach persönlichen Vorlieben gestaltet ist? "Es muss stimmig sein. Wir prüfen sehr genau, ob die Argumente stichhaltig sind." Vor allem die Vorgabe, dass der Plan sich von den Regelstudien klar unterscheiden muss. Das sei aufgrund der in jüngster Zeit stark zugenommen Zahl an Studien immer unwahrscheinlicher. An der Universität Salzburg starteten im vergangenen Wintersemester etwa zwei interdisziplinäre Studien: Philosophie, Politik, Ökonomie und Sprache, Wirtschaft, Kultur. Zudem habe jeder Regel-Student die Möglichkeit, Schwerpunkte über freie Wahlfächer und Studienergänzungen zu setzen: An der Uni Salzburg gibt es beispielsweise Gender Studies, Künste und Öffentlichkeit, Rhetorik oder Angewandte Statistik.

Warum gibt es dann den Paragrafen 55 des Universitätsgesetzes überhaupt, der das individuelle Studium regelt? "Es ist die klassische Humboldt'sche Denke, dass das Studium so frei wie möglich gestaltet werden sollte. Und es sollte das Interesse des Individuums berücksichtigt werden", sagt Vizerektor Müller. Das klingt, als wäre das Studium irregulare ein Überbleibsel aus alten Zeiten. Ja, sagt Müller. "In einer Zeit, in der nur wenige Studien angeboten wurden, war es sinnvoll. So konnte man sich in bestimmten Bereichen spezialisieren." Heute sei die Einzigartigkeit schwer argumentierbar.

Ein Studium für eine Person einzurichten bedeute freilich einen Mehraufwand für die Uni, sagt Heribert Wulz, stellvertretender Sektionsleiter Hochschule im Wissenschaftsministerium. Es gebe aber keine Pläne, das Studium irregulare abzuschaffen. "Und ich persönlich meine, dass es schade darum wäre." Der Paragraf 55 sei ein Instrument für die Flexibilisierung: Besonders innovative Studierende können so Verknüpfungen erstellen, die es bisher noch nicht gab. "So manches neues Angebot ist als individuelles Studium auf die Welt gekommen", sagt Wulz. Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur etwa. Oder Internationale Entwicklung an der Uni Wien.

Wie sinnvoll ist aber ein Studium irregulare für all jene, die Karriere machen wollen? Einerseits ist die Ausbildung ein Alleinstellungsmerkmal, eine Spezialisierung, die sonst niemand hat. Andererseits haben die Fächer kein Mascherl, das man im Lebenslauf angeben kann. Der Bewerber kann höchstens die Schwerpunkte aufzählen. Eine klare Berufsbezeichnung muss der Antrag auf Zulassung nicht enthalten. Wegen der Karriere allein hätte sie ihr individuelles Studium nicht begonnen, sagt Irsigler, die neben dem Master bei einem Ziviltechniker in Wien arbeitet. "Aber man sticht auf jeden Fall aus der Masse hervor."

Viel wichtiger als der Name des Studiums ist die Praxis

Ein individuelles Studium sei keinesfalls ein Showstopper, sagt Natascha Winkler von der Personalberatung Iventa. Im Normalfall fliegen Bewerber nicht raus, nur weil man ihr Studium nicht zuordnen kann. "Wir prüfen jeden Lebenslauf händisch und lassen keine Software darüberlaufen." Viel wichtiger als der Name des Studiums sei ohnehin die Praxis: Also welchen Beruf eine Person ausübt. Eine Ausnahme gibt es jedoch. "Wenn wir einen fachspezifischen Experten, etwa für Automatisierungstechnik suchen, dann muss der Bewerber genau dieses Studium vorweisen."

Es bleibt eine Frage. Wer tut sich das an, sein eigenes Curriculum zu schreiben? Es seien Leute, die schon Erfahrung hätten, sagt Frank vom ÖH-Beratungszentrum. Sie haben meist bereits ein Studium angefangen, wollen es aber nicht fertig machen. Sie können sich so ihre zuvor abgelegten Prüfungen anrechnen lassen. "Der Vorteil ist, dass das individuelle Studium genau das abdeckt, was die Person an Wissen braucht. Und was sie interessiert."

Irsigler fehlen noch fünf Lehrveranstaltungen und die Master-Arbeit, um ihr individuelles Studium abzuschließen. Trotz des großen Aufwands hat sie ihre Entscheidung nie bereut. "Es ist mein Studium. Es ist das, was mich interessiert. Ich bin überglücklich, dass ich damit begonnen habe."

KOMMENTARE (0)

SN Karriere