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Österreichs erstes College entsteht

Die Uni Linz will das Konzept angloamerikanischer Colleges nach Österreich holen. Die Elitenförderung soll für die Studenten kostenlos sein. Dennoch gibt es Kritik.

Das Modell des Linzer College. Die Welser Architekten Luger & Maul setzen auf Holz.
Das Modell des Linzer College. Die Welser Architekten Luger & Maul setzen auf Holz.

Die Idee kam vor rund einem Jahr auf. Bei einem Besuch des St Catherine's College, das zur University of Oxford gehört. "Ich war sofort fasziniert", sagt Meinhard Lukas, Rektor der Johannes Kepler Universität Linz (JKU). Das St Catherine's College bietet eine Mischung aus Heim und Weiterbildungseinrichtung: (Elite-)Studenten wohnen dort, verbringen dort ihre Freizeit und werden dort von Uni-Professoren fortgebildet. "Die klassische universitäre Bildung findet in Oxford statt. Aber an den Colleges vertiefen die Professoren den Stoff, bieten Mentoring, machen Persönlichkeitsbildung."

Campusleben nach angloamerikanischem Vorbild

Schon während des Ausflugs in den Süden Großbritanniens nahm sich Lukas vor, die Idee an die JKU bzw. das hauseigene Institute of Technology (LIT) zu bringen. Ende März fiel der Startschuss für das Projekt. "Sportlich gedacht" im Oktober 2019, spätestens aber bis Oktober 2020 soll es das erste österreichische Uni-College nach angloamerikanischem Vorbild geben. Es könnte sogar das erste College im deutschsprachigen Raum sein. "Mir ist zumindest kein anderes bekannt", ergänzt Lukas.

Das "akademische Dorf" soll auf einem Grundstück des JKU-Campus entstehen. Zugelassen werden pro Jahr 50 Studenten aus den MINT-Fächern, also den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Die Studenten müssen sich mit Zeugnissen und einem Motivationsschreiben bewerben. Eine Kommission führt anschließend Aufnahmegespräche.

Die College-Bewohner sollen gemeinsam wohnen, leben, lernen. Dadurch und durch die Betreuung von eigens abgestellten Lehrenden soll eine ganz spezielle Begabtenförderung entstehen. Und diese soll kostenlos sein: Das Ziel sei, die Miete auf 400 Euro pro Monat zu fixieren, beschreibt Lukas. Das ergebe Gesamtkosten von rund 10.000 Euro für das zweijährige Studium. Diese werden aber durch spezielle Stipendien abgedeckt - ein jeder Studienplatz soll von einem Unternehmen finanziert werden. Die Firmen bekommen dafür den Erstkontakt mit den Studenten vermittelt, dürfen diese in einer Art Mentoring unter ihre Fittiche nehmen, auch Praktika sollen eingefädelt werden. "Damit liefern wir eine Art Personalentwicklungskonzept", sagt Lukas.

Aber wieso kommt ein System, das an einigen der renommiertesten Universitäten seit Jahr und Tag gängig ist, erst jetzt in den deutschsprachigen Raum? Eine Hürde sei die Finanzierung. Das Linzer Projekt sei nur möglich, da Stadt und Land Grundstücke am und um den Campus zur Verfügung stellen. Auch das Bauprojekt selbst werde von einem Investor getragen; die Uni selbst müsse kein Geld in die Hand nehmen. Allein wegen der fehlenden Grundstücke sei ein solches Projekt etwa in Salzburg "sehr schwer zu realisieren", ergänzt Lukas.

Doch es gibt noch weitere Hürden. Die JKU könnte sich Vorwürfe gefallen lassen müssen, den freien Hochschulzugang einzuschränken. Rektor Lukas hält dagegen: Das Studium bleibe offen, das Aufnahmeverfahren gelte lediglich für das Zusatzangebot. Dass das System dennoch primär Eliten und nicht die breite Masse fördere, merkt die bundesweite Hochschülerschaft (ÖH) an. An sich seien zusätzlicher Wohnraum und Programme, die sich an bestimmte Zielgruppen richteten, stets zu begrüßen, sagt Johanna Zechmeister aus dem ÖH-Vorsitzteam. "Doch eigentlich sollte es für mehr Studierende erschwingliche Wohnräume geben - und nicht nur für die Elite."

Kritik: Ein System für die breite Masse oder Betreuung der Elite

Selbst JKU-Rektor Lukas gesteht ein, "dass man die Exklusivität ein Stück weit kritisch sehen kann". Deshalb sei er kein uneingeschränkter Anhänger des angloamerikanischen Systems. "Die Spitze bekommt eine top Betreuung, die Breite aber eher eine schlechtere." Es werde viel auf Eliten umgeschichtet. Das dürfe an der Uni Linz nicht so sein. "Das Konzept darf die Durchschnittsqualität nicht angreifen."

Einer, der die Unterschiede zwischen dem österreichischen und dem angloamerikanischen System kennt, ist Gerhard Apfelthaler. Der Niederösterreicher hat die FH Kufstein mitgegründet. Seit 2013 ist er Dekan der California Lutheran University, einer Privatuniversität in Thousand Oaks, Kalifornien. An seiner Hochschule gebe es ebenso Colleges, auch "Schools" genannt. Diese seien "irgendwo zwischen den Fakultäten österreichischer Unis und den Colleges nach britischem Muster" einzuordnen. Es gebe etwa keine klare räumliche Trennung: Einzelne Colleges hätten zwar eigene Gebäude, an sich würden die Studenten aber durchmischt. Mentoren, sogenannte Advisors, seien hingegen üblich. Diese würden die Studenten in ihren Studienabschnitten begleiten. Im Bachelorstudium übernehmen Professoren die Aufgabe, Masterstudenten werden von Führungskräften aus der Wirtschaft an die Hand genommen.

Gerhard Apfelthaler hält Colleges "bis zu einem gewissen Grad sozialisierend und identitätsbildend". Doch er begründet auch, wieso das System derart stark forciert wird: Die Studenten sollen nach Abschluss der Uni verbunden bleiben - um einen "Rückfluss an Spendengeldern" zu erreichen.

Vorteile der Coworking Spaces auch auf den Unis nutzen

Während JKU-Rektor Meinhard Lukas die Gruppendynamik im College-System hervorhebt - die berühmte Ruderregatta zwischen Oxford und Cambridge sei etwa dadurch entstanden -, merkt Apfelthaler an, dass sich "ungesunde Rivalitäten" bilden könnten. Brücken zwischen den Fachbereichen seien ebenso schwerer zu bauen. Dennoch sei das Konzept "gar nicht so unzeitgemäß". Denn Lernen und Leben ineinander zu verschränken erinnere stark an die Start-up-Szene und deren gemeinsame Arbeitsplätze, die Coworking Spaces.

Dekan Apfelthaler, der auch eine Zeit lang an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig war, glaubt, dass das College-System in Österreich erfolgreich sein kann. Fachhochschulen böten bereits jetzt ein ähnliches Konzept - einzig die Verschränkung des Arbeitsraums mit dem Lebensraum fehle. Doch das College-System könne nur dann wirklich funktionieren, wenn sich nicht nur konzeptionell, sondern auch kulturell einiges ändere. In den USA sei es nicht ungewöhnlich, dass Professoren den Studenten ihre Handynummer geben - und stets für sie bereitstünden. "US-Professoren sind stärker am individuellen Lernerfolg von Studierenden interessiert", ergänzt Apfelthaler. Deshalb brauche es in Österreich zuallererst einen Einstellungswandel: "Der schönste College-Campus würde in Österreich nicht funktionieren, wenn Professoren an strikten Bürostunden festhalten und brav um 16 Uhr nach Hause gehen."

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