SN.AT / Leben / Karriere

Im zweiten Bildungsweg

Warum sich ein zweiter Bildungsweg in die Gesundheitsbranche auszahlt, schildert eine gelernte Tapeziererin und neuerdings Hörakustikmeisterin.

Hörakustikerinnen und Hörakustiker werden gesucht und ausgebildet.
Hörakustikerinnen und Hörakustiker werden gesucht und ausgebildet.

Mit den Händen arbeiten, das wollte Olivia Seifter als Jugendliche. Die Saalfeldnerin machte deshalb eine Lehre zur Tapeziererin und Raumausstatterin. Das Bodenlegen, Wändestreichen und Tapezieren gefiel ihr gut. Weniger aber, dass in ihrer Freizeit beim Heben und Stiegensteigen Knie und Rücken schmerzten. Da sie nach der Lehrzeit "stempeln" gehen sollte, als saisonbedingt wenige Aufträge in die Firma kamen, verließ sie ihren erlernten Beruf. "Immer wieder monatelang viel Zeit und wenig Geld zu haben, das wäre nichts für mich gewesen", sagt die 25-Jährige. Sie begann, als Trainerin in einem Fitnessstudio zu arbeiten, und merkte, die Arbeit mit Menschen machte ihr Spaß. Da ihr Verdienst mit knapp 1200 Euro gering war, sah sich Seifter nach zwei Jahren wieder nach einer neuen Stelle um - und gelangte in den Bereich Gesundheitswirtschaft.

Lehrausbildung für Hörakustik

"Über ein Inserat auf der AMS-Homepage habe ich erfahren, dass Hansaton Ausbildungsstellen für Hörakustik besetzt", so Seifter. Eine Lehre im zweiten Bildungsweg zu machen war für sie eine interessante Option. "Ich habe mich beworben und durfte gleich darauf schnuppern und probearbeiten. Als mich die Firma nahm, war ich erst einmal baff", schmunzelt sie. Je eine halbe Woche arbeitete Seifter dann in den Hansaton-Filialen Saalfelden und Zell am See. Nebenbei hieß es lernen.

Bild: SN/monika salzmann
Ich bin wegen Rückenschmerzen umgestiegen.
Olivia Seifter, Hörakustikmeisterin

Während der 18-monatigen Lehrausbildung ging es vier Mal für zwei Wochen ans WIFI Innsbruck. Die Theorieausbildung zum Hörakustiker ist herausfordernd. Für Seifter war das kein Problem. Nach eineinhalb Jahren AMS-Bezug und 200 Euro monatlichem Zusatzverdienst durch eine AMS-Initiative begann Seifter als reguläre Kraft zu arbeiten. Die Sicherheit, mit hochkomplexer Akustiktechnik zu arbeiten, hatte ihr während der Ausbildung ihre damalige Chefin gegeben. "Sie stand zu 100 Prozent hinter mir", so Seifter. Heute, rund vier Jahre später, hat sie auch den Meistertitel in der Tasche - und führt in Zell am See das Hansaton-Fachgeschäft für Hörakustik. "Als Hörakustikerin habe ich mit Technik, Medizin und Sozialem zu tun. Das ist der Beruf, den ich machen will", weiß sie inzwischen. Vor allem sei es die Arbeit mit den Menschen, die sie erfülle.

Kommen Menschen mit Hörminderung zu ihr, fragen sich Olivia Seifter und ihre beiden Kolleginnen: Wir hört dieser Mensch? Wofür braucht er ein Hörgerät? Was ist ihm wichtig? Die Bedarfsanalyse steht am Anfang einer langen Geschäftsbeziehung. Ein High-End-Hörgerät kostet schnell einmal 4000 Euro. Seifter nennt als Beispiel einen Bauleiter mit Hörminderung: "Der hat viele unterschiedliche Gesprächssituationen: Auf der Baustelle ist es laut, bei der Besprechung im Innenraum hallt es, im Auto muss er telefonieren. Ihm hilft ein Gerät, das zusätzlich noch Störlärm unterdrückt und Wind und Echo blockiert", beschreibt Seifter. Die alte Dame im Seniorenheim, die hauptsächlich fernschaut, Karten spielt und spaziert, kommt leichter mit einem einfachen Hörgerät aus. "Dafür wollen die alten Menschen viel mehr reden", weiß Seifter aus dem Kontakt mit der älteren Kundschaft. Offen und empathisch müsse man schon sein, wenn man Hörakustik lernen wolle. Mitzubringen sei auch ein gewisses technisches Geschick und Genauigkeit. Der Job ist jedenfalls recht sicher: Hörgeräte benötigen regelmäßige Wartung und müssen im Lauf des Lebens immer wieder angepasst werden.

Hörakustik-Branche braucht Mitarbeitende

Obwohl Hörakustikerinnen und Hörakustiker sehr gute Berufsaussichten haben und vergleichsweise gut, nach dem Metallgewerbe-Kollektivvertrag, verdienen, fehlen der Branche Mitarbeitende. "Am Arbeitsmarkt finden wir sie kaum", schildert Sabine Kranebitter, Recruiterin der Hansaton-Hörkompetenzzentren in Österreich mit Sitz in Wals-Siezenheim. Weil immer mehr Menschen Hörgeräte brauchen, ist in Österreich die Anzahl der Hansaton-Fachgeschäfte in den vergangenen zehn Jahren von 75 auf rund 100 Filialen gestiegen und die der Angestellten von 230 auf mehr als 370. Rund 75 Prozent sind Frauen. Um langfristig den Personalbedarf zu decken, arbeitet das Tochterunternehmen des weltweit tätigen Sonova-Hörgerätekonzerns seit Jahren mit dem AMS zusammen. In den vergangenen drei Jahren machten 68 Umsteigerinnen und Umsteiger die Hörakustiklehre wie Olivia Seifter im zweiten Bildungsweg. Da Erfahrung zähle, hätten ältere Personen genauso gute Chancen wie junge, heißt es von Unternehmensseite. Unter 18-Jährige bildet man dort gar nicht mehr aus.

Rund 40 Prozent der Belegschaft sind älter als 45 Jahre. Die erwachsenen Lehrlinge absolvieren ihre Berufsschulzeit seit 2018 in eigenen Hansaton-Klassen am WIFI Innsbruck. Für die nächste Klasse, die im Herbst 2021 mit 20 Plätzen (davon zwei bis drei in Salzburg) startet, werden noch Interessierte gesucht. 97 Prozent der via AMS rekrutierten und ausgebildeten Fachkräfte bleiben nach der Ausbildung im Konzern.

Für diesen Ausbildungszweig rekrutiert das AMS Salzburg Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und AMS-Kundinnen und -Kunden, die sich beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen beruflich neu orientieren müssen, sagt Pressesprecher Wilfried Beer. In Salzburg laufen Ausbildungen dieser Art großteils über die Regionale Arbeitsstiftung Salzburg. Die Auszubildenden beziehen neben dem Arbeitslosengeld oder der Notstandshilfe seit Oktober 2020 einen Bildungsbonus von vier Euro pro Tag.