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Wie Video-Recruiting gelingt

Viele Video-Bewerbungsgespräche finden ohne große Planung statt. Das bringt Nachteile für den Betrieb und den Kandidaten. Ein neuer Leitfaden hilft.

Wie aussagekräftig ist die Videobewerbung?
Wie aussagekräftig ist die Videobewerbung?

Auch in einem Rezessionsjahr suchen viele Unternehmen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wegen der gebotenen Distanzregeln ist ein Großteil auf Video-Bewerbungsgespräche umgestiegen. Auf diese Art können sich Arbeitgeber und Bewerber ohne Ansteckungsrisiko kennenlernen. Doch wie findet man auf diesem Weg die besten Talente? Noch handhabt jeder Betrieb das Video-Recruiting so, wie es Geschäftsleitung und Personalabteilung für richtig halten. Von einem Anbieter videogestützter Recruiting-Software ging kürzlich die Initiative aus, einheitliche Qualitätsrichtlinien aufzustellen.

Bild: SN/kolarik
Es kursieren zweifelhafte Anwendungen zur Auswertung von Videos.
Tuulia Ortner, Psychologieprofessorin, Uni Salzburg

An deren Entwicklung hat neben einer Reihe deutscher Wissenschafter die Salzburger Universitätsprofessorin Tuulia Ortner vom Fachbereich Psychologie mitgearbeitet. Ihr zufolge gewinnt das Thema Brisanz, da inzwischen etliche zweifelhafte Anwendungen zur Auswertung von Sprache und Mimik in Bewerbungsvideos kursierten. Wenden Unternehmen videogestützte Personalauswahl nicht fachgerecht an, finden sie nicht die besten Leute. Die neu entwickelte Qualitätsrichtlinie ("DIN Spec") soll Abhilfe schaffen.

Der mehrseitige Leitfaden zielt unter anderem auf technische Details ab. So sollen bei zeitversetzten Videointerviews die Frage-Videos der Unternehmen mehr als nur ein Mal abspielbar sein. Mindestens zwei Personen sollten unabhängig voneinander beurteilen, wie gut sie die Eignungsmerkmale des Bewerbers beurteilen. Besonders ins Auge nimmt der Leitfaden die künstliche Intelligenz. Wichtig sei etwa, dass der angewendete Algorithmus nicht Personen nach Geschlecht oder Alter benachteilige. Neben zeitversetzten Videointerviews bezieht sich der Leitfaden auf Echtzeit-Videogespräche und Bewerbungsvideos, die jemand aufzeichnet und dem potenziellen Arbeitgeber zur Verfügung stellt.

"Der Leitfaden ist unabhängig von der Betriebsgröße interessant für alle, die Interesse an Qualität in der Personalauswahl mittels videobasierter Tools haben und die hier gerade starten oder ihr Angebot verbessern wollen", empfiehlt Ortner Arbeitgebern, das kostenlose Angebot zu nutzen.

Chance für Recruiting von KMU

Spezifische Software aus dem Personalbereich einzusetzen ist nicht Pflicht. Aber, betont Ortner: "Für jegliche Videointerviews braucht man Software. Die Frage ist, ob man sich von spezieller Software unterstützen lassen möchte. Solch eine kann beispielsweise eine bestimmte Candidate Experience ermöglichen, oder sie kann vorgeben, dass der Entscheidungsprozess nach bestimmten Prozesskriterien abläuft." In diesem Fall könne eine spezialisierte Video-Recruiting-Software insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen dabei helfen, nicht nur vom Auftritt her aus der Masse gängiger Videotelefonie-Tools herauszustechen, sondern auch eine gute Qualität im Prozess sicherzustellen. Manche Softwareanbieter böten zusätzlich zur "reinen" Technik zu spezifischen Anforderungen psychologisch fundierte und erprobte Fragensets mit Auswertungshinweisen an.

Der Leitfaden empfiehlt strikte Regeln. So sollen etwa Echtzeitinterviews für alle Kandidaten gleich strukturiert werden. Doch das gewohnte Jobgespräch entfalle nicht zwingend, meint die Professorin. Bei der Erfassung der relevanten Merkmale bringe der Leitfaden eine klare Struktur. Dadurch gäben Unternehmen Kandidaten dieselbe Chance. Das heiße aber nicht, dass kein Small Talk zum Warmwerden oder zum Verabschieden stattfinden dürfe. Ganz in diesem Sinne beinhaltet der Leitfaden Tipps, die helfen, zu Beginn von Bewerbungen per Video das Eis zu brechen.

So sei bei Videobewerbungen und zeitversetzten Videointerviews der Einsatz eines Begrüßungsvideos empfehlenswert, um die Akzeptanz der Kandidatinnen und Kandidaten zu erhöhen. Die Begrüßung enthalte beispielsweise eine persönliche Ansprache einer Person, die das auswählende Unternehmen repräsentiere.

Unklar dürfte so manchem Bewerber bei Echtzeitvideos sein, ob auch dieses aufgezeichnet wird. Die Psychologieprofessorin rät, die genauen Bedingungen in jedem Fall vorab zu klären. Professionelle Unternehmen nähmen diese Sorgen ernst und wüssten, dass es datenschutzrechtlich die klare Vorgabe gibt, dass Kandidaten in jedem Fall über Aufnahmen informiert werden und damit auch einverstanden sein müssen.

Dass für videogestützte Prozesse und Methoden nun in Deutschland eine Zertifizierung möglich sei, sei ein bedeutsamer Meilenstein für die Personalarbeit, so Tuulia Ortner. Sie ist zuversichtlich: "Dass auch Anbieter für Qualität kämpfen, ist bemerkenswert. Ich bin gespannt, welche weiteren Anbieter von sich aus einen Verweis auf die neue ,DIN Spec' geben werden."
Der Leitfaden "DIN Spec 91426" steht hier kostenfrei zur Verfügung.