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Freiräume für Schlaue

Wenn Lehrpersonen die (Online-)Schulbank drücken und lernen, wie begabte Schülerinnen und Schüler aufblühen - wenn man sie lässt.

Das Wichtigste, damit jungen Menschen ein Lichtlein aufgeht? Genug Freiheiten und Möglichkeiten, damit sie ihrer eigenen Begabung auf die Spur kommen können.
Das Wichtigste, damit jungen Menschen ein Lichtlein aufgeht? Genug Freiheiten und Möglichkeiten, damit sie ihrer eigenen Begabung auf die Spur kommen können.

"Hochbegabung" ist ein Wort, das Silvia Theiss nicht gern hört. Mit zu vielen Mythen sei es besetzt. "Wenn man in der Thematik nicht drinnen ist, dann können schnell viel Druck und Stress entstehen." Nicht nur Eltern, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer reagieren dann oft überfordert, beobachtet die Pädagogin: "Wir hatten einmal einen Buben, Vincent, der konnte bei seiner Einschulung bereits im Tausender-Bereich rechnen. Seine Klassenleiterin hat sich im ersten Moment gefragt: Was tue ich denn jetzt? Schließlich hat sie sich auf ihre Kompetenzen als Lehrperson besonnen. Dann hat das super funktioniert." Beobachten, zuhören und sich auf die Schülerinnen und Schüler einlassen - das bringe der Beruf ohnehin jeden Tag mit sich. Theiss spricht aus Erfahrung: Sie unterrichtet am Wirtschaftskundlichen Realgymnasium Salzburg Digitale Grundbildung.

Reges Interesse an Fortbildung

"Die Förderung von Begabungen fasziniert mich seit dem Beginn meiner Karriere", erzählt Theiss. An der Schule, an der sie direkt nach dem Studium zu unterrichten anfing, gab es Pull-out-Kurse, Alternativunterricht während der Unterrichtszeit also, für den sich begabte Schülerinnen und Schüler Themen auswählen, die sie besonders interessieren. Damals noch ein Novum. Inzwischen bekommen Stärkenförderung und Potenzialentfaltung immer mehr Platz in der Ausbildung von Lehrkräften.

Ein Ansatz ist der Hochschullehrgang des ÖZBF (Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung) an der Pädagogischen Hochschule Salzburg, den Theiss gemeinsam mit dem Team des ÖZBF konzipiert hat und als Vortragende leitet: "Begabungs- und Begabtenförderung online". Im vergangenen Schuljahr fand die Fortbildung erstmals online statt. Auffallend viele junge Kolleginnen und Kollegen seien dabei gewesen, erzählt Theiss: "Gerade sie sind sehr eingespannt, weil sie noch weniger Routine haben. Da kommt ihnen dieses Format entgegen. Sie können um 14, 15, 16 Uhr einsteigen, da, wo sie sind, ohne lange Anreise."

In vier Modulen erarbeiten Lehrkräfte aus ganz Österreich zwei Semester lang gemeinsam, wie sie so unterrichten können, dass Begabungen gefördert werden, und wie sie individuell auf begabte Schülerinnen und Schüler eingehen können. Der aktuelle Stand der Forschung kommt dabei nicht zu kurz. Außerdem tauschen sie sich über ihre eigenen Erfahrungen aus. Das Interesse ist groß, 50 Anmeldungen gab es im Vorjahr für die 30 Plätze. Auch der Lehrgang, der im Herbst startet, ist gut nachgefragt. "Der Bedarf ist offensichtlich da. Inzwischen bieten mehrere Bundesländer ähnliche regionale Formate an", weiß Theiss.

Vom Breitensport zum Spitzensport

"Jedes Kind, jeder Jugendliche hat das Recht, optimal gefördert und zu Leistungen angespornt zu werden", ist die Pädagogin überzeugt. Was den Unterschied zwischen Begabungs- und Begabtenförderung ausmacht? Man könne sich das vorstellen wie Breitensport und Spitzensport, erklärt Theiss.

"Beim einen geht es darum, das Skifahren grundsätzlich kennenzulernen und herauszufinden, ob das etwas für einen ist. Daraus kristallisieren sich Leute, die ihre Leidenschaft und Begabung entdecken, dranbleiben und schließlich individuelle Fördermaßnahmen brauchen." Bei der Begabungsförderung geht es also darum, Vielfältiges anzubieten, damit Kinder schon möglichst früh eine Spielwiese haben, auf der sie ihre Fähigkeiten und Interessen ergründen können. "Je bunter es im Kindergarten und auch zu Hause zugeht, umso mehr Möglichkeiten finden Kinder, die Welt für sich zu erforschen. Je älter ein Kind wird, desto mehr merkt es, was ihm leichtfällt und Spaß macht." In der Begabtenförderung gehe es dann um die Vertiefung dieser Fertigkeiten, um individuelle Maßnahmen und Förderungen. Im Bundesland Salzburg sind das etwa Sport-, Musik- oder MINT-Schwerpunktschulen, Differenzierungen und Zusatzangebote wie unverbindliche Übungen oder außerschulische Kurse, heißt es aus der Bildungsdirektion des Landes. Auch die Schulpsychologie werde eingebunden.

Das Patentrezept: fortgeschrittene Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden lassen, was sie anstatt des regulären Unterrichts machen wollen. Vincent etwa hatte in der Volksschule nicht nur einen Vorsprung im Rechnen, sondern auch ein Faible für Chemie. Seine Eltern förderten sein Interesse mit einem Chemiebaukasten. In den Mathematikstunden, in denen er ohnehin nichts Neues dazulernen konnte, gab ihm seine Lehrerin die Möglichkeit, dass er sich im Selbststudium über Podcasts und YouTube-Tutorials viel Neues aneignete. Ein paar Stunden begleitete ihn sogar ein Chemiestudent. "Diese Inseln haben seine Begabung weiter gefördert", ist Theiss überzeugt.

Lernfreundliches Umfeld schaffen und Kinder und Jugendliche machen lassen

Haben Lehrpersonen überhaupt die Ressourcen, im bestehenden Schulsystem auf die besonderen Begabungen oder Bedürfnisse von Kindern einzugehen, sie zu erkennen und zu fördern? "Wichtig ist, vom negativen Blickwinkel des Mehraufwands wegzukommen", sagt die Pädagogin. "Die Kolleginnen und Kollegen, die sich zum Lehrgang anmelden, sind da jedenfalls sehr offen." Wie viel Zeit und Ressourcen jemand habe, sei aber individuell sehr verschieden. Gerade die Jungen seien zwar interessiert, aber nicht so freigespielt, dass sie sich umfassend mit zusätzlichen Thematiken auseinandersetzen könnten.

Bild: SN/privat
Vom negativen Blickwinkel des Mehraufwands wegkommen.
Silvia Theiss, Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung & Begabungsforschung

Erfahrenere Lehrkräfte hätten mehr Ressourcen, um sich mit den Feinheiten des Unterrichtens zu beschäftigen. Oft hätten aber schon kleine Dinge Wirkung. "Ich bin gegen den Druck und den Stress, den Eltern erzeugen oder Lehrpersonen sich selbst machen. Es reicht oft schon, Inseln zu schaffen, wo Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten und Interessen auszuleben. Wollen und tun müssen sie das dann ohnehin selbst."

Wenn es darum gehe, Stärken zu fördern, gelte für alle dieselbe Regel, erklärt Theiss, für Kinder, Jugendliche wie für Erwachsene: Unterschiedliches anbieten und beobachten, was jemanden interessiert, und ihm oder ihr dann mehr davon geben. "Viele Lehrpersonen gehen diese Wege bereits, haben sie aber noch nicht benannt."

Prioritäten dürfen sich ändern

Begabungen zu trainieren sei wichtig. Stress bedeuten solle das aber auf keinen Fall. Letztlich gehe es darum, individuelle Stärken zu erkennen und Schülerinnen und Schüler in ihre Eigenverantwortung zu bringen. "Wenn ein Kind sich nicht ständig mit Mathematik beschäftigt, wird es nicht zu Höchstleistungen gelangen. Die grundlegende Frage ist aber: Will das Kind das?", betont Theiss. Und vor allem: Manchmal darf die Förderung auch Pause machen. Dann nämlich, wenn dem Kind nicht mehr danach ist oder andere Dinge Priorität haben: Am Ende der vierten Klasse Volksschule hatte Vincents Chemie-Selbststudium ein Ende - er bereitete sich lieber auf die neue Schule vor.

Mehr Infos:www.phsalzburg.at/oezbf