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Zeit für radikale Flexibilität im Job

Hybrides Arbeiten, Umsatteln und Co.: Warum es Arbeitgeber stärker macht, wenn sie hinhören, was ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen.

Erfolgreiches Recruiting bedeutet, sich auf die Bedürfnisse der Bewerberin, des Bewerbers einzustellen.
Erfolgreiches Recruiting bedeutet, sich auf die Bedürfnisse der Bewerberin, des Bewerbers einzustellen.
Immer wichtiger: auf die Wünsche der Beschäftigten eingehen.¦Norbert Füruter, Personal- und Organisationsentwickler
Immer wichtiger: auf die Wünsche der Beschäftigten eingehen.¦Norbert Füruter, Personal- und Organisationsentwickler

"Hätte mich vor zwei Jahren jemand gefragt, ob ich in Wels arbeiten möchte, wäre die Antwort ein klares Nein gewesen!", sagt Lisa Kiesewetter. Inzwischen ist die Salzburgerin genau dort als Business-Development-Managerin beim IT-Dienstleister Premedia beschäftigt. Das aber nur, weil ihr ihr Arbeitgeber entgegengekommen ist. Kiesewetter arbeitet hybrid: drei Tage pro Woche im Homeoffice in Salzburg, zwei in Wels. Die Zugfahrt dorthin kann die Managerin als Arbeitszeit nutzen; die Kosten für das Klimaticket hat Premedia übernommen.

Gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gefragt. Klassische Anreize wie eine moderne Büroausstattung oder außergewöhnliche Teambuilding-Events reichen längst nicht mehr, um als Arbeitgeber punkten zu können. Zum erfolgreichen Recruiting gehört heute, sich auf die Bedürfnisse der Bewerberin, des Bewerbers einzustellen. Das ist Norbert Füruter, der bei Premedia als CFO für die Personal- und Organisationsentwicklung zuständig ist, nur allzu bewusst: "Natürlich ist ein modernes Arbeitsumfeld ein wichtiger Faktor, aber viel wichtiger ist es, wie wir als Unternehmen auf die individuellen Wünsche der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingehen." Dass mehr Flexibilität zu mehr Zufriedenheit im Team und damit zu einer höheren Produktivität führt, belegen zahlreiche Studien.

Was für junge Menschen beim Arbeitgeber zählt

Auch die digitale Recruiting-Plattform StepStone ist der Frage nachgegangen, was Unternehmen heute leisten müssen, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Eine aktuelle Befragung von 10.000 Studierenden an 33 österreichischen Unis und Hochschulen zeigt: Flexible Arbeitsbedingungen werden für junge Menschen immer wichtiger. Dieser Wunsch rückte im Vergleich zu 2021 um drei Ränge vor, auf Platz vier. 64 Prozent der befragten Studierenden erwarten von einem attraktiven Arbeitgeber die Möglichkeit, zumindest teilweise remote arbeiten zu können. Noch wichtiger: ein attraktives Grundgehalt, ein hohes Einkommen in Zukunft und vielfältige Aufgaben.

Kompetenzen zu fördern, hält Beschäftigte

Aktuell fehlen der IT-Branche in Österreich 24.000 Fachleute. Drei Viertel der Beschäftigten können sich vorstellen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, zeigt eine aktuelle Focus-Umfrage. Gerade in diesem hart umkämpften Segment müssen sich Unternehmen also etwas einfallen lassen, um Spitzenkräfte zu rekrutieren - und zu halten. Premedia setzt auf ein Mittel, das so einfach wie wirkungsvoll ist: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern. Christopher Brandstötter etwa erkannte während seiner Lehre als IT-Techniker rasch, dass ihm die Kundenbetreuung mehr liegt. "Dass man mir die Chance gegeben hat, ins Projektmanagement einzusteigen und mich weiterzuentwickeln, war ein großes Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens für mich", sagt er.

Für Premedia-Personalentwickler Norbert Füruter ist es kontraproduktiv, Menschen in ein Korsett zu zwingen, das ihnen nicht passt. Vielmehr komme es darauf an, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Handwerkszeug mitzugeben, ihre Stärken und Fähigkeiten einzusetzen. "In diesen herausfordernden Zeiten sollten Unternehmen Kompetenzen fördern, agile Strukturen schaffen, eine offene Feedback-Kultur leben und mit gutem Beispiel vorangehen", sagt Füruter. Unternehmen seien außerdem gefordert, über ihren Schatten zu springen, die Kontrolle ein Stück weit abzugeben und ihren Teams zuzutrauen, dass sie das leisten, wofür sie eingestellt wurden. Premedia beschäftigt aktuell 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Wels und Wien.

DIE ZUKUNFT DER ARBEIT IST HYBRID



Das Thema New Work beforscht Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut seit 2012. "Durch die Coronapandemie wurde plötzlich die gesamte Wirtschaft zu einer Art Reallabor für New Work", sagt sie. Der Innovationsschub hin zum flexiblen Arbeiten habe Unternehmen und der Gesellschaft als Ganzes eine Tür aufgestoßen. Gemeint sei mit New Work übrigens nicht, dass man Leute einfach ins Homeoffice schicke, vielmehr erfordere das eine neue Arbeitskultur, weiß Hofmann.

Zahlreiche Fragen verlangen damit nach Antworten: Wie organisiert man Arbeit unter den neuen Bedingungen? Wie funktioniert Führung? Wie hält man Teams zusammen? Und: Wie können sich Beschäftigte vor einem Zuviel an Flexibilität schützen?

Die Zukunft der Arbeit werde hybrid sein, prognostiziert Hofmann, also zum Teil im Betrieb geleistet werden, zum Teil von zu Hause aus. Studien zeigen, dass die Produktivität bei Remote Work überwiegend gleich bleibt oder sogar gesteigert werden kann. Offen sei die Frage, wie Betriebe Leistung künftig bewerten wollen, wenn Präsenzzeiten an Bedeutung verlieren. "Wenn New Work gelingen soll, müssen sich alle bewegen", sagt Hofmann. Dabei könnten auch alle gewinnen.