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Wie Betriebe spielfähig bleiben

Die Macht wird neu verteilt, Rollenerwartungen werden gut geklärt. Richten sich Unternehmen "agil" aus, werden Mitarbeitende und Unternehmen krisenfest.

In agil ausgerichteten Unternehmen sind die Mitarbeitenden anspielbar und kreativ.
In agil ausgerichteten Unternehmen sind die Mitarbeitenden anspielbar und kreativ.

Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt enorm komplex gemacht. Entscheidungsträger müssen in kurzer Zeit über eine Vielzahl von Möglichkeiten entscheiden. Erprobte Entscheidungshilfen fehlen oft noch. Kommt eine Krise hinzu, verschärft sich das Problem noch weiter. Was also tun?

Unternehmen müssen in Bewegung bleiben, um in einem komplexen und krisenhaften Umfeld zu bestehen. Davon sind Frank Boos und Barbara Buzanich-Pöltl von der Organisationsberatung Neuwaldegg mit Sitz in Wien überzeugt. In ihrem kürzlich erschienenen Buch "Moving Organisations" (Buchtipp siehe unten) erklären sie, wie Unternehmen in Bewegung bleiben und was sie selbst und ihre Mitarbeitenden davon haben. Etwa den Effekt, dass sie sich auf ihr Personal verlassen können - was gerade in Krisen wesentlich ist. Oder dass die Mitarbeitenden wie im Mannschaftssport "anspielbar" sind und auch im Unsicheren kreativ werden können.

Wie bleiben Unternehmen handlungs- oder spielfähig?

Um nicht nur, wie bisher erforderlich, effizient, sondern auch "agil", also handlungs- oder spielfähig zu bleiben, braucht es dem Autorenteam zufolge ein grundlegendes Umdenken. Mehrere Hebel eignen sich dafür.

Bild: SN/alexander citzasan
Die Bereitschaft zur Neuverteilung von Macht steigt erkennbar.
Barbara Buzanich-Pöltl, Unternehmensberaterin, Autorin

Bedeutend sei, Unternehmen offener für ihre Umwelten zu machen. Konkret heißt das, Impulse von Kunden oder eigenen Mitarbeitenden schneller zu verarbeiten. Zu diesem Zweck gelte es im Unternehmen Hierarchien abzuflachen und die Macht flexibler und breiter zu verteilen. Barbara Buzanich-Pöltl: "Unternehmen, die flache Hierarchien haben und wo die Führung an der Verteilung von Macht arbeitet, sind im Vorteil. Dabei ist es wichtig, dass die Auseinandersetzung mit der Neuverteilung von Macht und Einfluss transparent abläuft." Diese "Arbeit an der neuen Autorität" laufe quer durch Branchen, Länder und Betriebsgrößen. Anlässe seien entweder Krisen oder Führungskräfte, die sich diesem Thema stellen wollen. Die Bereitschaft zur Neuverteilung von Macht steige erkennbar, so Pöltl: "Es gibt bereits eine Vielzahl von praktischen Beispielen, zum Beispiel in Deutschland eine Initiative die sich ,Selbstorganisation in Konzernen' nennt." Um agiler zu werden, sei es sinnvoll, von Anfang an auf die Mitgestaltung durch die Stakeholder zu achten, so die Autorin. Ein heimisches Unternehmen habe dies erfolgreich umgesetzt: Mitarbeitende und Führungskräfte aus verschiedenen Bereichen, Kundinnen und Kunden und die eigenen Stakeholder aus dem Konzern seien in den Veränderungsprozess durchgehend eingebunden gewesen. In Konferenzen und Learning Journeys habe man sich Impulse von Fachleuten eingeholt. Bedeutend sieht die Unternehmensberaterin, auf die veränderten Bedürfnisse zu achten: "Man muss schauen: Wann geht es um Expertise, wann ums Einbinden und Mitnehmen und wann ums Mitgestalten."

Sinn und Zweck einzelner Rollen klären

Besonderes Augenmerk gelte den unterschiedlichen Rollen in einem Unternehmen. Würden die Rollenerwartungen gut geklärt, erhöhe das die Chancen für ein Unternehmen, sich gut weiterzuentwickeln. Frank Boos nennt als gelungenes Beispiel die Veränderung in einem international agierenden Spezialisten in der Nahrungsmittelindustrie. Anlass war eine verfahrene Situation: "Die Produkte des Unternehmens werden in zirka 70 Ländern verkauft. Eine komplexe Matrixstruktur mit vielen Rollen im Verkauf, Marketing, der Produktentwicklung und in der Führung ist entstanden. Irgendwann wusste niemand genau, wer wofür zuständig war. Besonders wenn der Druck stieg, kam es zu Verzögerungen, Fehlern und Schuldzuschreibungen. Wir haben in den Regionen mit interdisziplinären Gruppen einen Tag lang gearbeitet, um deren Rollen zu klären: Der Sinn und Zweck jeder Rolle wurde erarbeitet und erstmalig haben alle verstanden, was dahintersteht." Aufgaben und Verantwortungen wurden anschließend diskutiert und niedergeschrieben - bis jede Rolle klar war. Das habe sich ausgezahlt, so Boos: "Die gegenseitigen Erwartungen waren klar und ebenso das Verständnis für den tieferen Sinn." Schon nach ein paar Wochen habe man die Rollenerwartungen auch in anderen Bereichen geklärt.

Ist jetzt der Zeitpunkt, ein Unternehmen agiler, also spielfähiger zu machen?

Nein, meinen Autor und Autorin. Gerade in Krisen sollte man Schritt für Schritt vorgehen. Die beiden raten, am Höhepunkt der Krise zuerst alle Aufmerksamkeit auf die Sicherung des Überlebens zu richten. Vor allem wenn diese länger andauert, wie die Coronakrise. Hat man wieder etwas Stabilität gewonnen, kann man sich anderen Dingen zuwenden. Im zweiten Schritt sei es sinnvoll, die Krise dafür zu nutzen, um eine agile Transformation zu starten. Frank Boos begründet das so: "Gerade in dieser Phase - und oft nur in dieser - haben Sie eine viel größere Bereitschaft für fundamentale Veränderungen und für eine agile Transformation. Wenn das Schwungrad einmal in Bewegung ist, kann man die vorhandene Energie gut nutzen." Außerdem sei man dann für die nächste Krise besser gerüstet.

Buzanich und Boos verwenden in ihrem Buch die weibliche Form - ungewohnt im wirtschaftlichen Themenkreis. Aber wichtig, sagt Buzanich-Pöltl: "Organisationen werden nachweislich besser, wenn Frauen und Männer gleiche Chancen haben. Deshalb arbeiten wir mit Unternehmen am Thema Gender Equality. Mit der weiblichen Form setzten wir unser Know-how um: Die männliche und neutrale Form produziert männliche Bilder in unserem Kopf und beeinflusst unsere Entscheidungen." Mit dem Buch will man beide Geschlechter ansprechen und ein bewusstes Zeichen genau dafür setzen.

Frank Boos, Barbara Buzanich-Pöltl: "Moving Organisations. Wie Sie sich durch agile Transformation krisenfest aufstellen.", Schäffer-Poeschel-Verlag Stuttgart, 280 S.