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Warum Inklusion in der Arbeitswelt wichtig ist

Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Teilhabe im Berufsleben. Das verhindern oft die vielen Mythen, die es zum Thema Inklusion gibt.

Auch Menschen mit Beeinträchtigung wollen am Arbeitsleben teilnehmen.
Auch Menschen mit Beeinträchtigung wollen am Arbeitsleben teilnehmen.

Auf YouTube findet sich ein Video der Lebenshilfe, es bringt das Dilemma vieler Menschen mit Behinderungen auf den Punkt. Darin erzählt Mario seine Geschichte. Er ist 32, Gärtner, nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt, sondern in einer Werkstatt, weil er eine Lernschwäche hat, mit der er als arbeitsunfähig gilt. In der Werkstatt bezieht er für seine Arbeit keinen Lohn, sondern Taschengeld. Das ist gesetzlich so vorgesehen. Mitversichert ist der 32-Jährige bei seinen Eltern, er hat keine eigene Sozial- und Pensionsversicherung. Alle paar Jahre muss er sich von verschiedenen Stellen auf seine Berufsfähigkeit beziehungsweise Berufsunfähigkeit hin "begutachten" lassen. Mit seinem Taschengeld kann Mario sich keinen Urlaub leisten.

Chancengleichheit herstellen

Personen wie Mario werden vom Gesetz her wie Kinder behandelt. Weil das menschenunwürdig ist, haben Vertreter und Vertreterinnen der Lebenshilfen und des Österreichischen Behindertenrats anlässlich des Tages der Inklusion am 5. Mai ihre Forderungen nach einem inklusiven, durchlässigen Arbeitsmarkt und fairer Entlohnung an Bundeskanzler Kurz übergeben. Dabei geht es vor allem darum, die Sozialversicherung an die Erwerbsarbeit zu knüpfen. Nur mit einer kollektivvertraglichen Entlohnung sei es möglich, Durchlässigkeit und Chancengleichheit herzustellen, wird argumentiert.

Viele Unternehmen kaufen sich frei

Menschen mit Behinderungen können auf dem ersten, dem regulären Arbeitsmarkt unterkommen oder auf dem zweiten, die Arbeitsplätze dort wurden in der Regel über Förderungen der öffentlichen Hand geschaffen. Das sind einerseits integrative Betriebe, von denen es acht in Österreich gibt, der größte, GWS - Geschützte Werkstätten Integrative Betriebe, ist in Salzburg. In allen integrativen Betrieben zusammen arbeiten 3000 Menschen, drei Viertel haben eine nach österreichischem Gesetz geregelte Beeinträchtigung. Die Bezahlung erfolgt nach Kollektivvertrag. Die dritte Möglichkeit sind Beschäftigungsprojekte, sogenannte Werkstätten wie Lebenshilfe oder Diakonie. Die dort arbeitenden Menschen können mit den am ersten und zweiten Arbeitsmarkt geforderten Bedingungen nicht mithalten. Diese Projekte werden vom Land finanziert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten lediglich ein Taschengeld.

Beschäftigungspflicht für Unternehmen

Auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt es die sogenannte Beschäftigungspflicht, die besagt, dass Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern einen Menschen mit Behinderung aufnehmen müssen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichstaxe zahlen, das sind aktuell 271 Euro im Monat, für Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten 381 Euro, bei über 400 Mitarbeitenden sind 404 Euro pro Person, die zu beschäftigen wäre, zu entrichten. "Es ist schade, dass so viele Unternehmen die Wahl treffen, zu zahlen, statt sich zuzutrauen, einem Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz zu ermöglichen", sagt Annette Sombekke vom Sozialministeriumservice. Dort will man Unternehmen gezielt darüber aufklären, dass Menschen mit Behinderungen sehr wohl als gleichwertige Kräfte arbeiten. "Das ist die Basis für eine gelungene Inklusion."

Die Behinderung sagt nichts über die Leistung aus

Eine Behinderung zu haben ist vielschichtig. Das kann Blindheit sein, eine Gehbehinderung, aufgrund derer ein Mensch einen Rollstuhl benötigt, das können psychische Einschränkungen sein. "Es gibt so viele Arten von Behinderungen, die nichts aussagen über die Produktivität und Leistung der Menschen", betont Annette Sombekke. Und hier versteckt sich Vorurteil Nummer 1, wonach Menschen mit Behinderungen nicht voll einsatzfähig seien. Dabei sei es wie in der regulären Arbeitswelt: Jeder Mensch hat Begabungen und sollte nach den Fähigkeiten eingesetzt werden. Es braucht nur manchmal Flexibilität.

Offensiv gegen Vorbehalte vorgehen

Ein weiterer Vorbehalt vieler Unternehmer ist die Frage nach dem Kündigungsschutz. "Zu diesem Thema gibt es so viele Mythen und zu wenig Wissen", sagt Annette Sombekke. "Es gelingt uns leider nicht immer, Betriebe vom Potenzial der Menschen mit Behinderungen zu überzeugen, trotz angebotener Unterstützungen und finanzieller Anreize." Das Sozialministeriumservice setzt nun Schritte, um offensiv gegen diese Vorbehalte vorzugehen und mehr Unternehmer zu gewinnen, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen einzustellen. Dazu wurde im Rahmen des Netzwerks berufliche Assistenz ein Betriebsservice eingerichtet, mit dem Ziel der passgenauen Vermittlung von Personen an Unternehmen. Laut Annette Sombekke werden Menschen mit Behinderungen in der Regel stark unterschätzt, gerade seh- oder hörbehinderte Menschen kämpften immer wieder gegen Vorurteile an. Vielfach würden alle Formen körperlicher Einschränkung in einen Topf geworfen. "Menschen mit Behinderungen wissen viel über ihre Behinderung und sie wissen auch, was nicht geht", betont sie.

5000 beeinträchtigte Menschen auf Arbeitssuche

In Salzburg gibt es rund 5000 Menschen mit Behinderungen, die Arbeit suchen. "Wir vermuten eine große Dunkelziffer, weil viele Menschen, die Kriterien erfüllen würden, keinen Antrag zum Grad der Behinderung stellen", sagt Annette Sombekke. Aus Unternehmen, die Menschen mit Beeinträchtigungen aufgenommen haben, hört sie viel Positives. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien motiviert und sehr wichtig für das soziale Gefüge in Unternehmen. Fakt ist auch: Wird es wirtschaftlich oder gesellschaftlich schwieriger, trifft es Menschen mit Behinderungen oft als Erste.

Sebastian Traugott: Ernst genommen werden

Sebastian Traugott arbeitet seit drei Jahren im Kundenservice der Salzburg AG. Er ist 25 Jahre jung und seit früher Kindheit blind. Er absolvierte das MultiAugustinum in St. Margarethen im Lungau und einen Aufbaulehrgang im Bereich Multimedia und Werbegrafik mit Fokus auf Tontechnik. Wie viele andere blinde Menschen verfügt Sebastian Traugott über ein sensibles Gehör. Er ist recht zufrieden mit seinem Job bei der Salzburg AG, es sei eine stabile, sichere Arbeit, von seinen Kolleginnen und Kollegen sei er gut aufgenommen worden. Hilfsbereitschaft ist in seinem beruflichen Umfeld großgeschrieben, das Sich-aufeinander-verlassen-Können ebenfalls. "Ich kann immer um Hilfe bitten und bekomme sie auch", sagt Sebastian Traugott, "ein gutes Arbeitsumfeld zu haben ist mir mehr wert als eine hohe Bezahlung."

Er teilt sich seine Wohnung mit seiner Freundin, die auch sehbeeinträchtigt ist. Die beiden organisieren ihren Haushalt selbstständig. "Es braucht halt viel mehr Organisation als bei sehenden Menschen", erklärt der 25-Jährige. Über die erlebte Unterstützung, vor allem bei der Arbeitssuche, ist er sehr froh. "Es ist mehr als frustrierend, wenn man als Individuum nicht ernst oder gar nicht wahrgenommen wird", sagt Sebastian Traugott. Mit seiner Beeinträchtigung kann der junge Mann gut leben. Und das müssten eben auch seine Mitmenschen, indem sie ihn so akzeptierten, wie er sei. So selbstbewusst geht er auch an seine Freizeitbeschäftigung heran, er ist Sportschütze im Blindensportverband. Wie das geht? An seinem Luftdruckgewehr ist eine Kamera montiert, die elektronisch die Zielscheibe abtastet und die Information in hörbare Töne übersetzt.

Johann Klee hat entschieden, zu bleiben

Johann Klee hat auf dem zweiten Arbeitsmarkt eine Beschäftigung fürs Leben gefunden. Seit 1983 arbeitete er bei der GWS - Geschützte Werkstätten Integrative Betriebe. Er ist seit einem Mopedunfall, den er als 16-Jähriger hatte, querschnittgelähmt, war monatelang auf Rehabilitation und litt psychisch schwer unter den Unfallfolgen und sein Schicksal. Über den Sozialmedizinischen Dienst und das AMS kam er zur GWS in die Produktion, was eigentlich nur als Übergangslösung gedacht war. Er wurde dann jedoch Gruppenleiter, dann Vorarbeiter und arbeitet heute im Personalbüro, wo er für administrative Tätigkeiten wie Zeiterfassung und Reisekostenabrechnung zuständig ist, er sortiert Bewertungen und vereinbart Termine.

Eine sehr wichtige Rolle habe neben seinem Job auch der Sport gespielt, der ihm damals immens geholfen habe, sein Leben zu stabilisieren, sagt Johann Klee rückblickend. In seiner Freizeit spielt er Rollstuhlbasketball, jahrelang auch in der Nationalmannschaft. Johann Klee weiß, wie wichtig es ist, einen Arbeitgeber zu haben, bei dem die Behinderung keine Rolle spielt und bei dem man keine Angst zu haben braucht, wenn man gesundheitsbedingt für längere Zeit ausfällt. Wichtig für ihn ist auch die Entlohnung. "Fürchterlich finde ich diese Entlohnung nach Taschengeld, das ist wie ein Geduldet-Sein", sagt Johann Klee. "Ich brauche keine Hilfe vom Staat. Ich leiste meinen Beitrag für die Gesellschaft." Nach zwei Jahren, 1985, hätte er übrigens das Angebot zur beruflichen Umschulung erhalten. Er hat entschieden, bei der GWS zu bleiben. Dort hat er auch privat sein Glück gefunden und 2012 seine Sejdefa geheiratet.

Begleiterin in Lebensphasen

Das Unternehmen wurde vor 43 Jahren in Salzburg gegründet und unterhält mittlerweile drei Standorte in Salzburg-Stadt, Bruck und St. Margarethen. Die dort hergestellten Produkte sind vielfältig, das Spektrum reicht von Textilveredelung über Souvenir- und Werbemittelherstellung bis zu Dienstleistungen wie Grünraumpflege und Reinigungsdienste. Bei GWS sind derzeit rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, zu 80 Prozent sind sie beeinträchtigt, oft mehrfach. Finanziert wird der Betrieb aus dem Fonds, der mit der von den Unternehmen geleisteten Ausgleichstaxe gefüllt ist, und durch einen Lohnkostenzuschuss vom Land. "Viele der Menschen, die bei uns tätig sind, sind zwar arbeitsfähig, haben aber Probleme auf dem ersten Arbeitsmarkt", sagt die Geschäftsführerin Astrid Lamprechter. Im Gegensatz zu Werkstätten, die nur Taschengeld bezahlen, erhalten Menschen in den integrativen Betrieben eine volle Entlohnung nach Kollektivvertrag inklusive Absicherung durch die Sozial- und Pensionsversicherung.

Arbeit gibt Struktur im Leben

Bei GWS werden über 30 Lehrlinge ausgebildet. Doch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur Arbeitsplätze anzubieten sei zu wenig, betont Astrid Lamprechter. "Wir verfolgen ein Lebensphasenmodell." Das bedeutet, als zuverlässiger Partner den Menschen auch in den verschiedenen Lebensphasen zur Seite zu stehen. Das beginnt mit Unterstützung auf dem Weg zu einem vollwertigen Lehrabschluss, der im Unternehmen gemacht werden kann, geht über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bis hin zu Hilfestellungen im privaten Bereich. Hier werden Begleitungen in schwierigen Zeiten angeboten, etwa bei Scheidung oder dem Tod eines Angehörigen, bis hin zum sanften Übergang in die Pension und einem gesicherten Ankommen dort.

Selbstbestimmtes Leben führen zu können

"Für die Menschen bei uns sind Arbeits- oder Ausbildungsplätze immanent wichtig." Ihre Arbeit gibt ihnen Tagesstruktur und die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Für Teile der GWS-Beschäftigten sei der Arbeitsplatz der einzige Ort für soziale Kontakte und Informationsaustausch, sagt die GWS-Geschäftsführerin. Aus diesem Grund reichen die Angebote für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis in den Freizeitbereich. Es werden beispielsweise Yogakurse organisiert, es wird über gesunde Ernährung beraten und es finden Ausflüge und gemeinsame Aktivitäten statt.