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Die Stunde der Unzufriedenen

Quiet Quitting und Dienst nach Vorschrift: Wie viel Frust schlechte Chefs bei motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auslösen können.

Beschäftigte am Abgrund: Häufig ist schlechte Führung schuld.
Beschäftigte am Abgrund: Häufig ist schlechte Führung schuld.

Überstunden, die weder zeitlich noch finanziell abgegolten werden, Anrufe und E-Mails nach Feierabend oder im Urlaub: Für Quiet Quitter ist das nichts. Sie gehen im Job nicht mehr die Extrameile, sondern arbeiten "nur" so viel, wie sie sollen. Ihre Freizeit behalten sie den schönen Dingen des Lebens vor.

Zum Thema wurde Quiet Quitting durch ein TikTok-Video, das mittlerweile mehr als drei Millionen Klicks hat. Managementexperte Gerhard Furtmüller erklärt, wie viel Anteil inkompetente Führungskräfte am Trend zum Dienst nach Vorschrift haben.

Furtmüller ist unter anderem als Senior Lecturer an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) am Department für Management tätig. In den kommenden Wochen gibt er uns jeden ersten Samstag im Monat mit einem Kommentar Einblick in Themen, die Führungskräfte bewegen (siehe ganz unten).

Ein Viertel der US-Arbeitskräfte bezeichnet sich als Quiet Quitter, in Deutschland hat jeder sechste Beschäftigte bereits innerlich gekündigt. Was hat Führung damit zu tun? Gerhard Furtmüller: Mitarbeiter verlassen in der Regel nicht das Unternehmen, sondern ihren Chef. Junge lassen sich nicht gefallen, wenn es unverhältnismäßige Führung gibt. Frustration, Erniedrigung, mangelnde Wertschätzung: Das schädigt die Firma massiv.

Warum gibt es so viele schlechte Chefinnen und Chefs? In gewachsenen Unternehmen gibt es kaum Coachings, wenn jemand befördert wird; er oder sie wird häufig nicht an die neuen Aufgaben herangeführt. Überforderung, Stress, konfuses Handeln sind die Folgen. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen das ab. Sie bekommen zu wenig Zeit, Wertschätzung, werden als Nummer wahrgenommen. Das ist mit ein Grund für einen Wechsel.

Wer wird in der Regel Chef? Befördert werden gute Mitarbeiter, Generalisten, die gute Leistungen bringen. Gefährlich wird es, wenn sie glauben, sie müssten weiterarbeiten wie bisher. Ich habe einen Bekannten, der im Controlling gearbeitet hat. Von 9 bis 17 Uhr führt er seine Mitarbeiter, bis 23 Uhr sitzt er dann da und füllt Excel-Tabellen aus - so wie früher. Führungsverantwortung übernehmen heißt aber auch Aufgaben loslassen. Die eigentliche Aufgabe von Führungskräften ist es, Mitarbeitern zu zeigen, wie sie ihr Potenzial ausschöpfen und produktiver sein können.

Was macht eine gute Chefin, einen guten Chef aus? Und wie unterscheiden sich dabei Führungskräfte von Vorgesetzten? Vorgesetzte kommunizieren viel zu viel - rund 85 Prozent ihrer Arbeitszeit. Dabei setzen sie auf Kontrolle, Überwachung, Details, denken viel zu klein. Wichtig sind aber die grundlegenden Fragen: Was sind die Aufgaben? Wie sind diese zu erledigen? Und wie übersetze ich das für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Führungskräfte machen das. Sie beschäftigen sich mit Zielen und dem Weg dorthin, fördern Mitarbeiter, führen sie in die Autonomie und lassen sie dann eigenständig arbeiten. Gerade junge Menschen schätzen Gestaltungsmöglichkeiten im Job. Wichtig ist es, Ziele und Kriterien zu definieren - wir Menschen brauchen Klarheit und Struktur. Die Führungskraft kann sich dann neuen Aufgaben widmen. Sie arbeitet am, nicht im Unternehmen.

Wie gelingt die Balance zwischen "Anwalt des Unternehmens" und "Schutzpatron der Beschäftigten"? Wenn ich meine Studierenden frage, was der Zweck eines Unternehmens ist, kommt häufig die Antwort: Geld verdienen. Und natürlich muss ein Unternehmen Umsatz machen, sonst ist sein Fortbestand gefährdet. Aber das allein reicht nicht: Ein Unternehmen hat keinen Selbstzweck, es erzeugt Leistung für die Gesellschaft. Bei einem Mobilitätsunternehmen ist das etwa, der Oma zu ermöglichen, einkaufen zu fahren, oder den Schüler in die Schule zu befördern. Wir sind heute sehr auf der Suche nach Aufgaben, vielleicht sogar nach Sinn. Junge wollen leisten, arbeiten. Wenn Führungskräfte die Frage nach dem Warum glaubhaft beantworten können, hören Beschäftigte nicht um Punkt 17 Uhr auf zu arbeiten. Wichtig ist, dass sie auch vorleben, was sie erwarten.

Für die meisten Berufe gibt es eine einschlägige Ausbildung, nicht so für Führungskräfte. Wo könnte man hier ansetzen? Wir müssen weg vom Silodenken, das betriebswirtschaftliche Kenntnisse, fachliche und soziale Kompetenz isoliert voneinander betrachtet. Wichtig wäre eine betriebswirtschaftliche Führungskräfteausbildung, wie es sie an der WU Wien im Rahmen des Masters Management gibt. Dort lernt man, wie man Emotionen und Wertschätzung nutzt, um Inhalte und Aufgaben für Mitarbeiter erlebbar und erfahrbar zu machen. Inhalt und Methodik werden in Unternehmenssimulationen sofort in die Praxis transferiert. Manche Unternehmen bieten das Einmaleins der betriebswirtschaftlichen Führung auch inhouse an und holen dafür Führungskräfte aus allen Bereichen zusammen: Betriebswirte, Techniker, Juristen.

Was macht schlechte Führung so gefährlich? Schlechte Führung sorgt für Unzufriedenheit, Mitarbeiterfluktuation, schlechte Bewertungen im Internet. Und damit sorgt sie letztlich für schlechte betriebswirtschaftliche Kennzahlen - und gefährdet die Firma.


Zu wenig Individuum
Gastkommentar von Gerhard Furtmüller

In der Führungskräfteausbildung stehen die fachliche, methodische und soziale Kompetenz im Fokus. Die Vermittlung dieser Kompetenzen ist grundlegend, weil für eine gute Führungskraft im täglichen Business entscheidend ist, dass sie über eine ausgezeichnete fachliche Kompetenz verfügt und weiß, welche Wege zum Ziel führen. Überdies soll sie die Inhalte ihren Mitarbeitern in angemessener Wertschätzung vermitteln.
Bei den Managementtrainings werden in aller Regel die besten Methoden angewendet, die dem aktuellen Entwicklungsstand entsprechen. Dennoch bleibt eine Lücke bestehen, weil die Methoden durch Standards definiert werden, in denen die individuellen Stärken und Schwächen der Teilnehmer unberücksichtigt bleiben. Die mangelnde Berücksichtigung des Individuums wird daraus ersichtlich, dass Führungskräfte sich nach den Trainings an den erlernten Methoden, aber nicht an ihren persönlichen Stärken und Schwächen orientieren. Sie können damit beispielsweise deklarieren, wie eine gute Präsentation - unabhängig vom Präsentanten - gestaltet sein soll. Dennoch bleibt das zentrale Problem bestehen: Sie wissen nach den intensiven Ausbildungsmethoden nicht, wie sie persönlich wirkungsvoller agieren können. Daraus resultiert die Gefahr, unauthentisch und damit auf Dauer wirkungslos zu bleiben. Daher sollte der bewusste Umgang mit individuellen Stärken und Schwächen in Managementtrainings zum Standard werden. Schließlich werden in unsicheren Zeiten authentische Leader, die glaubwürdig und damit überzeugend ihre Inhalte vermitteln, gefragter denn je sein. Damit bleibt bis zur nächsten Kolumne die Frage unbeantwortet, wie eine profunde Persönlichkeitsentwicklung, die das Individuum in den Vordergrund rückt, forciert werden kann.

Gerhard Furtmüller ist Experte für Persönlichkeitsentwicklung und Unternehmenssimulation. Er lehrt am Department für Management an der WU Wien sowie an der Universität Salzburg.