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Nicht jeder kann studieren - oder doch?

Die überraschende Nachricht: Zwei Drittel der Studierenden sind aus bildungsfernen Schichten. Warum das dennoch zu wenig ist - und wie die Zahl der Arbeiterkinder erhöht werden kann.

Studieren kann jeder.
Studieren kann jeder.

Stockerlplatz ist sich keiner ausgegangen. Aber Österreich liegt hinter der Türkei, Italien und Portugal auf Platz vier, was die sogenannten "first generation students" angeht. Damit meine man Studierende, deren Eltern über keinen Hochschulabschluss verfügten, erläutert Hochschulforscher Martin Unger vom Institut für Höhere Studien (IHS). Zwei Drittel der Studierenden aus dem Inland gehören dieser Gruppe an: "Das ist in Europa ein sehr hoher Anteil, der sich durch das stark ausgebaute Berufsbildungssystem mit Lehre, berufsbildender Mittelschule und berufsbildender höherer Schule erklärt."

Soziale Herkunft

Das ist die gute Nachricht. Die schlechte zeigt die Studierendensozialerhebung 2019: Studierende mit Eltern, die zumindest Matura haben, sind dennoch überrepräsentiert. Schaut man 1000 Väter an, die Pflichtschulabschluss haben, sind 22 ihrer Kinder an einer Hochschule. Hat der Vater Matura, sind es 37, bei Hochschulabschluss 43. Vor welchen Problemen stehen Arbeiterkinder, wie könnte Österreich die Durchlässigkeit steigern - und warum sollte die Gesellschaft das überhaupt wollen?

Bild: SN/öh
„Es braucht Aufklärung darüber, wie eineUni funktioniert.“ Laura Reppmann, ÖH

Laura Reppmann ist die erste studierende Frau in ihrer Familie. Sie ist Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft an der Uni Salzburg. Welche Tipps gibt sie Studierenden, deren Eltern nicht weiterhelfen können? "Ich habe mich am Anfang des Studiums sehr schwergetan mit finanziellen Hilfen und Informationen darüber", sagt Reppmann. Der bürokratische Aufwand für eine Förderung sei groß und kompliziert, man könne daran verzweifeln. Dazu komme die Herausforderung einer völlig neuen Welt: "Es bräuchte Aufklärung darüber, wie eine Uni funktioniert und wie Menschen sich am besten zurechtfinden können - am besten schon in der Schule, vor Abschluss der Unterstufe. Damit entsprechende Wege koordiniert werden können."

Bildungsferne Eltern seien oft skeptisch gegenüber höherer Bildung, berichtet Forscher Unger. Im Eurobarometer zeigen sich Österreicher zudem generell besonders wissenschafts- und technologiefeindlich. Studiere nun ein Arbeiterkind, bekomme es öfter "Du glaubst wohl, du bist was Besseres" zu hören. "Viele ,first generation students' berichten von einer Entfremdung von der Herkunftsfamilie", sagt Unger. Die Eltern hätten Angst, dass ihre Kinder "anders" zurückkämen.

Neben den Eltern seien Lehrerinnen und Lehrer oft das Zünglein an der Waage: Studierende aus bildungsfernen Elternhäusern berichten oft davon, dass ihnen in der Schule von ambitionierten Bildungswegen abgeraten worden sei - trotz guter Noten. Andererseits waren Lehrerinnen und Lehrer oft Schlüsselfiguren, die ihnen Kraft und Mut gegeben hätten. Vor allem in Großstädten entscheide sich der Bildungsweg früh: Mit zehn Jahren sitzt ein Kind in der Hauptschule oder im Gymnasium. "Am Land gibt es noch Wege, über die Hauptschule in eine AHS-/BHS-Oberstufe zu kommen und zu maturieren. In Wien ist das sehr selten", sagt Unger.

Unterschiede

Aber wie unterscheiden sich Studierende aus bildungsfernen Schichten von jenen mit bildungsnahen Eltern? Haben sie andere Probleme, wählen sie andere Studiengänge?

Eine der zentralen Antworten auf die Fragen ist: das Alter. "First generation students" fingen später an einer Hochschule an, da sie meist zuerst berufstätig seien, sagt Unger. Im Schnitt sind Studierende, deren Eltern maximal Pflichtschulabschluss haben, um 7,3 Jahre älter als Akademikerkinder. Das hat Auswirkungen auf die finanzielle Situation. "Die Phase zwischen 20 und 30 Jahren ist jene, in der sich besonders viel an der sozialen Lage ändert - Wohnen bei den Eltern oder eigene Wohnung, eigenes Einkommen, steigende Kosten." "First generation students" arbeiten daher deutlich öfter als Studierende aus bildungsnahen Schichten. Das verlängere die Studiendauer, erhöhe den Druck und führe manchmal auch zum Studienabbruch.

Studiengebühren belastend

Laura Reppmann betont deshalb, wie belastend Studiengebühren seien: "Für die meisten ist es fast unleistbar, sollten zu den kleinen Förderungen und der fehlenden finanziellen Unterstützung der Eltern noch Gebühren dazukommen." Schon ab wenigen Stunden, die parallel zum Studium gearbeitet werde, sinke der Studienerfolg - und die finanzielle Belastung steige: Wer zwei Semester über Mindeststudienzeit ist, muss zahlen. "Der Paragraf, der Studierende, die mehr als geringfügig arbeiten, entlastet hat, wurde unter Türkis-Blau 2018 abgeschafft und ist auch im Zuge der neuen Novelle nicht repariert worden, was ein Problem darstellt."

Braucht Österreich noch mehr Akademiker/-innen?

Neben dem Alter ist die Wahl der Hochschule ein Faktor: Kinder von bildungsfernen Eltern gehen eher an eine Fachhochschule, Akademikerkinder eher an eine Universität. "First generation students" sind daher oft in ähnlichen Studienrichtungen und dort eine große Mehrheit. "Sie fehlen dafür aber in anderen Studien", sagt Unger.

Aber braucht Österreich wirklich noch mehr Akademiker/-innen? Warum ist es wichtig, dass Studierende bunt gemischt sind? Reflexartig würde Unger da mit "Es muss nicht jeder studieren" antworten. "Mit dieser Aussage hat Bildungsminister Faßmann recht. Aber das Entscheidende ist, dass jene, die wollen und fähig sind, die Möglichkeit zum Studium haben." Reppmann findet eine hohe Durchlässigkeit wichtig, damit der Austausch zwischen den Studierenden gegeben ist. "Der Zugang zu höherer Bildung soll nicht nur für eine ,Klasse' geöffnet sein. Studierende sind die Zukunft."