Arbeitswelt

Finanzielle Grundversorgung: Arbeiten mit Grundeinkommen?

Wenn das Geld ohnehin da ist. Das Grundeinkommen wirft eine Frage auf: Arbeitet der Mensch, wenn es finanziell nicht notwendig ist?

Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen käme es in der neu gewonnenen Freizeit zu der Neugründung vieler Start-ups und Unternehmen – das ist zumindest die Theorie einiger Befürworter des Grundeinkommens. SN/shutterstock/roman samborskyi
Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen käme es in der neu gewonnenen Freizeit zu der Neugründung vieler Start-ups und Unternehmen – das ist zumindest die Theorie einiger Befürworter des Grundeinkommens.

Ob man gern einem Beruf nachgehen möchte oder lieber nicht - diese Frage erübrigt sich zumeist. Die finanzielle Notwendigkeit macht sie utopisch. Doch was wäre, wenn ein beträchtlicher Teil des Geldes für Wohnung, Strom, Essen und Co. bereits verfügbar wäre, ohne dafür einen Finger zu rühren? Würde die Mehrheit der Menschen dennoch einen Großteil ihrer Zeit mit Arbeit verbringen?

Der moderne Ansatz des Bedingungslosen Grundeinkommens

Das Modell rund um das Bedingungslose Grundeinkommen skizziert ebendiese Situation. Jedem Menschen wird in diesem System, das bislang hauptsächlich in der Theorie besteht, das Recht zugebilligt, eine finanzielle Grundversorgung zu erhalten. Die Rede ist dabei zumeist von etwa 1000 bis 1200 Euro, für Kinder weniger. Das Konzept, das auf Überlegungen zurückgreift, die bereits seit den 1960er-Jahren reifen, soll sich dabei unter anderem aus jenen Mitteln finanzieren, die bislang nur an gezielte Personen als Sozialleistungen ausbezahlt werden. Auch das Einsparen von Ämtern sowie eine deutlich erhöhte Konsumsteuer spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die Gründe für den modernen Ansatz des Bedingungslosen Grundeinkommens sind sowohl humanitärer als auch ökonomischer Natur. Auf der einen Seite soll damit jedem Menschen die Möglichkeit gegeben werden, sein Leben frei nach seinen Vorstellungen zu gestalten, auf der anderen Seite soll die Wirtschaft über ein Mehr an innovativen Geschäftsideen und höheren Konsum angekurbelt werden.

Arbeitet der Mensch, wenn er das Geld nicht braucht?

Während die einen das Bedingungslose Grundeinkommen als neues Ideal einer modernen Gesellschaft ansehen, werfen Kritiker viele Fragen auf. So auch eine entscheidende: Wäre der Mensch motiviert zu arbeiten, wenn er finanziell betrachtet nicht mehr arbeiten muss? Helmo Pape, Obmann des Vereins "Generation Grundeinkommen", beantwortet die Frage mit einem klaren Ja. "Aus der Soziologie sind zwei Hauptmotive bekannt, aus denen Menschen Arbeit verrichten: Zum einen, weil sie einen Sinn für die Person erfüllt, zum anderen, weil man so Wertschätzung empfängt." Nach diesen Faktoren strebe ein Mensch ganz natürlicherweise - auch ohne die finanzielle Notwendigkeit im Nacken. "Es kann schon sein, dass sich manch ein ausgelaugter Arbeitnehmer mit einem neu installierten Grundeinkommen zunächst erholen würde. Bald schon würde in ihm jedoch das Bedürfnis entstehen, wieder einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen." Mit dem Grundeinkommen würde, so Pape, eine Freiheit einhergehen, nur jene Arbeit zu verrichten, die tatsächlich den eigenen Vorstellungen und Überzeugungen entspreche. "Momentan sind viele Menschen gezwungen, einer Arbeit nachzugehen, die sie eigentlich gar nicht machen wollen. Damit wäre dann Schluss." Im Umkehrschluss geht Pape davon aus, dass die Arbeit, für die sich freiwillig entschieden wurde, mit einer wesentlich höheren Motivation angegangen würde. "Das kennt man von Ehrenämtern wie beispielsweise der freiwilligen Feuerwehr: Hier bekommen die Mitglieder kein Geld und sind dennoch mit Leidenschaft am Werk."

Was passiert mit unbeliebten Berufen?

Kritiker des Grundeinkommens sehen Tätigkeiten, die am Arbeitsmarkt tendenziell unbeliebt sind und häufig rein aus finanzieller Notwendigkeit heraus ausgeübt werden, in Gefahr. Auch dafür sieht Pape Lösungen. "Zunächst müsste man versuchen, diese Berufe attraktiver zu gestalten, beispielsweise über höhere Löhne." Eine weitere Möglichkeit, unliebsame Beschäftigungen in der Bevölkerung zu verteilen, sei der Ansatz "Mach es selbst". "Ob es darum geht, Angehörige zu pflegen oder den Müll zu entsorgen - zahlreiche Tätigkeiten könnten Menschen selbst erledigen, wenn sie durch das Grundeinkommen ein geringeres Maß an Stunden der Lohnarbeit nachgehen müssten." Zahlreiche Berufe und Arbeitsplätze könnten durch Digitalisierung und Automatisierung ohnehin schon bald wegfallen - eine der Annahmen, auf die sich die Theorie rund um das Bedingungslose Grundeinkommen stützt.

Die Arbeit ist ein wichtiger Faktor der Identitätsbildung

Davon, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung auch mit einem Grundeinkommen nicht aufhören würde zu arbeiten, zeigt sich auch Arbeitspsychologe Christian Blind überzeugt. "Es ist eine gesellschaftliche, stark in uns verhaftete Prägung, dass man eben arbeiten geht", erklärt der Experte, "zudem besteht in den allermeisten Fällen die Motivation, seine eigene Qualifikation in der Praxis umzusetzen und dafür Wertschätzung und Anerkennung zu erhalten." Die eigene Arbeit sei für die meisten Menschen gleichzeitig auch ein entscheidender Faktor der Identitätsbildung: "Tätigkeiten zu verrichten, die den eigenen Fähigkeiten entsprechen, ist etwas, das tief in nahezu jedem Menschen verankert ist."

Das Grundeinkommen deckt nicht jeden Lebensstil ab

Dennoch stehe für viele Arbeitnehmer das Thema Geld im Vordergrund. "Die Notwendigkeit, ein Einkommen zu generieren, ist kaum abstreitbar." Drastisch gestiegene Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten seien dabei maßgebliche Faktoren. Ein Grundeinkommen sei sicherlich für die meisten eine willkommene Unterstützung - jedoch keineswegs Anlass, die Berufstätigkeit an den Nagel zu hängen. "Die 1000 bis 1200 Euro pro Person, von denen gemeinhin bei der Grundsicherung die Rede ist, decken bei Weitem nicht jeden gewünschten Lebensstil, sondern nur eine Art Existenzsicherung ab."


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Aufgerufen am 22.09.2023 um 01:16 auf https://karriere.sn.at/karriere-ratgeber/arbeitswelt/finanzielle-grundversorgung-arbeiten-mit-grundeinkommen-64180351

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