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Bildungsberatung Schwachstelle bei Information zur Lehrausbildung

"Das höre ich zum ersten Mal": Gerade Geflüchtete wissen oft nicht, wie hochwertig eine Lehrausbildung ist. Bildungsberatung an den öffentlichen Schulen scheint eine Schwachstelle für die geringe Bekanntheit zu sein.

Die Lehre hat sowohl bei Immigranten als auch bei Österreichern ein Imageproblem.
Die Lehre hat sowohl bei Immigranten als auch bei Österreichern ein Imageproblem.

Ali Sayed M. (Name geändert) ist 23 Jahre alt und seit fünf Jahren als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich. In Afghanistan hat er nur fünf Jahre lang eine Schule besucht. Bisher war er auf Baustellen tätig, die Coronakrise machte ihn arbeitslos. In der Sozialberatung wird klar, dass er keine Ausbildung machen will. Er versteht nicht, was eine Lehre ist, und erkennt auch nicht ihren langfristigen Vorteil: dass er nicht mehr auf schlecht bezahlte Hilfsjobs angewiesen wäre und sich auch weiterbilden könnte.

Jugendliche Flüchtlinge und ihre Eltern wissen wenig über die Lehre

Der ehemalige Lehrer und ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuer Erwin Landrichter weiß über viele solcher Fälle zu berichten: "In Afghanistan, Syrien oder Irak gibt es keine Lehrausbildung. Da war der Vater Schuster oder Schneider, das wird auch sein Sohn im eigenen Betrieb angelernt. Sie können dann schneidern, aber nicht nach den Normen, die in Österreich verlangt werden. Wir stellen fest, dass viele Jugendliche und ihre Eltern wenig über die Lehre wissen und auch die Qualität der Ausbildung massiv unterschätzen."

Landrichter ist Vorstandsmitglied im Verein Begegnung heute in Melk, der sich zum Ziel gesetzt hat, Geflüchtete bei ihrer Eingewöhnung in Österreich zu unterstützen. "Viele der Flüchtlinge besuchen den Pflichtschulkurs, aber kommen nicht in den Polytechnischen Lehrgang, wo die Schüler sehr gut mit den verschiedenen Lehrberufen vertraut gemacht werden." Deshalb hat der Verein einen Infovortrag für Jugendliche und Eltern mit Carina Korherr, Expertin bei der Arbeiterkammer, organisiert.

200 Lehrberufe in Österreich: Kinder in der Mittelschule haben wenig Wissen über Lehrmöglichkeiten

Nadia S. (Name geändert) hört aufmerksam zu. Sie geht in eine Neue Mittelschule. Auf die Frage, wie viel sie in ihrer Schule über die Lehre in Österreich bisher gehört hat, meint sie nur: "Nichts." Sie will Gesundheits- und Krankenpflegerin werden, dafür braucht sie aber die Matura, die mit ihren Deutschkenntnissen in weiter Ferne zu sein scheint. Ihr war nicht klar, dass es mehr als 200 Lehrberufe in Österreich gibt. Nicht nur ihr: "Die Kinder in der Mittelschule kennen vielleicht sieben Lehrberufe, es gibt aber 200. Das höre auch ich heute zum ersten Mal. Es hängt von den Lehrern ab, wie engagiert sie sind und ob sie die Schüler auf diese vielen Lehrberufe hinweisen", schildert ein Vater.

Das ist auch der Grund, dass nach wie vor wenige Lehrberufe ausgewählt werden, obwohl es so viele verschiedene gibt. Mädchen würden nach wie vor in erster Linie Verkäuferin, Bürokauffrau oder Friseurin werden, Burschen Metalltechniker, Elektrotechniker oder Kfz-Techniker, berichtet Korherr. Die Einkommensunterschiede sind bereits im ersten Lehrjahr enorm: 580 Euro brutto bekommt ein Friseurlehrling, 702 Euro brutto der Kfz-Lehrling.

Die Lehre hat seit Längerem ein Imageproblem: "Weil einfach viele nicht wissen, wie hochwertig eine Lehrausbildung ist", bestätigt auch Korherr. 2021 waren 108.349 Lehrlinge in Ausbildung. Das AMS in Salzburg hat vor Kurzem Alarm geschlagen: Rund 1500 Lehrstellen sind offen, aber es gibt nur 237 Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen. Das Interesse an der Lehre sei nie so gering gewesen, so das AMS. Die Ursache ist in der demografischen Entwicklung und Akademisierung zu suchen, aber auch in fehlender Information, nicht nur bei Immigranten, sondern auch bei Österreichern.

Fehlende individuelle Beratung zur Lehrausbildung

Das Bildungsministerium listet auf Anfrage auf, was in den Schulen alles getan wird, um Jugendliche zu informieren und sie in ihrer Entscheidung zu unterstützen: Ab der siebten Schulstufe ist Berufsorientierungsunterricht vorgesehen, sowohl in der Mittelschule als auch am Gymnasium. Seit 2012 sind auch Kind-Eltern-Lehrpersonen-Gespräche in der achten Schulstufe zu führen. Es gibt zusätzlich die Möglichkeit, verschiedene Lehrberufe auszuprobieren, etwa im Rahmen von bis zu fünf Schnuppertagen im Betrieb während der Unterrichtszeit, in den Ferien sogar bis zu 15 Tage. Auch die Schulveranstaltung "Berufspraktische Tage" soll Wissen über die Lehrmöglichkeiten in Österreich vermitteln.

Die Schwachstelle scheint dennoch die Bildungsberatung an den öffentlichen Schulen zu sein. "In der Vienna International School, einer teuren privaten Gesamt- und Ganztagsschule, gab es allein zwei Mitarbeiter, die nichts anderes gemacht haben als Bildungsberatung", erzählt Landrichter. "Davon können öffentliche Schulen nur träumen. Eine Bildungsberaterin etwa für das ganze Mühlviertel ist nur ein Feigenblatt, das die fehlende individuelle Beratung verbirgt. Man jammert über den Mangel an Fachkräften, daran ist man aber zum Teil auch selbst schuld."

Das duale System in Österreich, dass man eine praxisorientierte Ausbildung im Betrieb macht und die Theorie in der Berufsschule absolviert, gebe es nur in wenigen europäischen Ländern, betont Korherr. Mit der "Lehre mit Matura" gibt es seit 2008 sogar einen Zugang zu einer universitären Ausbildung. Doch das ist wenig bekannt, wie die Zahlen zeigen: Laut Bildungsministerium haben sich österreichweit seit Beginn des Programms nur rund 57.000 Jugendliche angemeldet, in Salzburg waren es rund 8400 Jugendliche. "

Es ist natürlich anstrengend, neben einer Vollzeitlehre die Vorbereitungskurse am Abend und am Wochenende zu besuchen. Aber man hat mit der Lehre mit Matura eine weitere Möglichkeit für eine gute Durchlässigkeit im Bildungssystem", betont Korherr. Die Lehrlinge müssen 900 Unterrichtseinheiten und Teilprüfungen in Deutsch, Englisch und Mathematik absolvieren. Die Kurse beim WIFI oder BFI sind kostenlos, wenn die erste Prüfung vor Ende der Lehrzeit gemacht wird. Auch eine verlängerte Lehrzeit ist möglich, wenn die Deutschkenntnisse noch Schwierigkeiten bereiten. Umgekehrt gibt es auch die verkürzte Lehre, wenn man bereits die Matura hat. Grundsätzlich kann jeder in jedem Alter mit einer Lehre beginnen. Auch das ist eine wichtige Information in Zeiten, wo lebenslanges Lernen entscheidend ist, um am Arbeitsmarkt auch als älterer Arbeitnehmer zu bestehen.