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Bewusstsein schaffen für Diversitäten am Arbeitsplatz

Es zähle, was jemand könne, nicht, was jemand nicht könne, sagen Jacqueline Beyer (AMS) und Annette Sombekke (SMS). Menschen mit Behinderung einzustellen habe viele Vorteile - der Aufwand werde von Unternehmen oft überschätzt. Und: Es gibt umfassende Unterstützungsangebote.

Menschen mit Behinderungen werden oftmals auf ihre Defizite reduziert.
Menschen mit Behinderungen werden oftmals auf ihre Defizite reduziert.
Jacqueline Beyer (Leiterin AMS Salzburg) und Annette Sombekke (Leiterin SMS Landesstelle Salzburg).
Jacqueline Beyer (Leiterin AMS Salzburg) und Annette Sombekke (Leiterin SMS Landesstelle Salzburg).
Johann Höller, Tischler bei der Firma Voglauer – trotz Einschränkung ist er ein voll integrierter Leistungsträger.
Johann Höller, Tischler bei der Firma Voglauer – trotz Einschränkung ist er ein voll integrierter Leistungsträger.

SN: Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz -das ist für viele Unternehmen immer noch ein schwieriges Thema. Warum?
Annette Sombekke: Viele denken bei Menschen mit Behinderung an die Defizite der Menschen. Es ist besser, das umzudrehen, auf die Potenziale zu schauen. Gute Qualität in der Arbeit kommt von dem, was jemand kann, nicht von dem, was jemand nicht kann. Sozialministeriumservice (SMS) und Arbeitsmarktservice (AMS) ziehen deshalb an einem Strang: Um bei den Unternehmen Berührungsängste abzubauen und sie tatkräftig zu unterstützen, wenn sie den sinnvollen Schritt setzen, Menschen mit Einschränkungen zu beschäftigen. Das Wichtigste ist aber zuallererst: Bewusstseinsbildung. Vor allem deshalb sind wir auch auf dem Karriereforum: Viele Unternehmen glauben, es sei zu viel Aufwand, in diese Richtung zu gehen - aber sie sehen nicht die Chancen, Stichwort Fachkräftemangel, und die vielen Unterstützungsangebote. Und Diversität am Arbeitsplatz bietet auch viele zusätzliche Vorteile für Betriebe.
Jacqueline Beyer: Im letzten Jahr konnten wir rund 900 Personen in Salzburg fördern, mit sehr guten Ergebnissen für alle Beteiligten. Wir möchten deshalb den Unternehmen noch stärker den Nutzen erklären, sie überzeugen, dass es sich lohnt, an Menschen mit Behinderung zu denken bei Jobbesetzungen. Manche Unternehmen haben das schon erkannt, aber viele auch noch nicht. Wir haben in Salzburg abgesehen von der strukturellen Arbeitslosigkeit im Bereich von vier Prozent fast Vollbeschäftigung. Sowohl bei den Fach- als auch bei den Hilfskräften ist es deshalb für viele Betriebe schwer, zu besetzen. Entsprechend sollte diese Zielgruppe nicht übersehen werden - sie kann ein wichtiger Mosaikstein sein.

SN: Sie haben angesprochen, dass man darauf schauen sollte, was jemand kann, nicht darauf, was jemand nicht kann.
Sombekke: Ja, das ist zentral. Einschränkungen sind individuell, und viele haben sie. Oftmals auch, ohne dass sie als Menschen mit Behinderung wahrgenommen werden, denken Sie nur an Schlecht-Sehen oder -Hören. Meist sind es aber nur Einschränkungen in speziellen Bereichen - in anderen sind die Menschen sehr leistungsfähig. Deshalb geht es um Stärken, viele haben eine Ausbildung gemacht, die bei der richtigen Unterstützung gut eingesetzt werden kann.
Beyer: Wenn Unternehmen Mitarbeiter suchen, nehmen sie mit dem AMS Kontakt auf. Das sollten sie deshalb auch im Falle von Menschen mit Behinderung tun! Dann können wir sie ganz gezielt unterstützen beim Einsetzen der Stärken und Ausgleichen der Einschränkungen.

SN: Wie unterstützen Sie in der Praxis?
Sombekke: Zuallererst beraten wir das Unternehmen, sodass es weiß, welche Herausforderungen und Chancen, aber auch welche Unterstützungen und Förderungen es gibt. Wenn der Betrieb noch nicht so aufgestellt ist, dass er Menschen mit Behinderung aufnehmen kann, unterstützen wir dabei, ihn fit zu machen. Im nächsten Schritt kann eine Arbeitsassistenz vor Ort hilfreich zur Seite stehen, finanziert von uns. Begleitende Gespräche, Jobcoaching, hier assistieren wir überall. Darüber hinaus kann es zum Beispiel bei Menschen mit schweren Funktionsbeeinträchtigungen auch einen Assistenzeinsatz am Arbeitsplatz geben, für Tätigkeiten, die die Person nicht allein bewältigen kann. Und dann gibt es auch finanzielle Leistungen: zum Beispiel Förderungen, um den Arbeitsplatz barrierefrei zu machen, finanzielle Eingliederungshilfen vom AMS und natürlich auch den Wegfall des Beitrags, den Firmen ab einer gewissen Größe bezahlen müssen, wenn sie keine Menschen mit Behinderung einstellen.

SN: Wie beurteilen Sie die Gruppe von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt - viel Wille, aber wenig Chance?
Sombekke: Ja, in vielen Fällen ist das noch so, leider. Die meisten von ihnen sind sehr bereit, ihren Beitrag nach Kräften zu leisten. Jeder Mensch möchte etwas Wertvolles beitragen. In den allermeisten Fällen gewinnt man motivierte, qualifizierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und sollte es Probleme geben, sind wir für die Unternehmen da! Zum Beispiel wiederum in Form von Arbeitsassistenzen durch Psychologen oder Sozialarbeiter, oder durch finanzielle Unterstützung im Falle geringerer Leistungen. Schwierig ist meist nicht das Arbeiten im Unternehmen. Sondern der Schritt, hineinzukommen, die Barrieren im Kopf der Unternehmen zu beseitigen. Die Menschen mit Behinderung haben diese weniger: Sie haben sich das ganze Leben mit ihren Barrieren auseinandergesetzt.
Beyer: Das ist für uns der entscheidende Punkt. Das AMS hilft stärker am Beginn, beim Recruiting und bei der Eingliederung, das SMS bietet dann eine ganze Kette an Unterstützungsmaßnahmen an, die den Prozess begleiten können. Wir arbeiten eng zusammen, auch im gleichen Haus. Und gehen auch gemeinsam auf die Unternehmen zu: Wir sind gerade in einer Kampagne, in der wir fünf Wochen lang 1300 Betriebe besuchen und Bewusstsein schaffen wollen. Das passt zur aktuellen AMS-Kampagne #weiter, die Menschen motiviert, ihre Talente und Fähigkeiten zu entwickeln und mutig im Berufsleben neue Wege zu gehen. Das gilt auch für Betriebe, die täglich vor der Herausforderung stehen, das richtige Personal zu finden. Denn auch wenn die Wirtschaftsprognosen für 2019/20 gedämpfter sind: Am Fachkräftemangel wird sich nichts ändern. Deshalb sind wir auch am Karriereforum aktiv, mit Unternehmen vor Ort als unserer Hauptzielgruppe. Und wir haben mit der Firma Voglauer ein Best-Practice-Beispiel vor Ort, das die Betriebe in unserer Lounge treffen können. (siehe Kasten rechts)
Sombekke: Es geht uns dabei auch darum, über viele Mythen aufzuklären. Zum Beispiel, dass Mitarbeiter mit Behinderungen nicht mehr gekündigt werden können. Es hat sich vieles verändert, das die Betriebe oft nicht wissen.

SN: Abgesehen von der Möglichkeit, Arbeitskräfte zu finden, haben Sie angesprochen, dass Diversität zunehmend wichtiger wird. Warum?
Sombekke: Diversität ist heute für Unternehmen wie Mitarbeiter wichtig. Und zwar in jeder Hinsicht: Wir müssen nicht mehr alle das Gleiche tun, alles ist flexibler, es kommt oft auf Kreativität und verschiedene Blickwinkel an.
Beyer: Das gehört heute auch zum Employer Branding, das wichtiger denn je ist. Nehmen wir das AMS als Arbeitgeber: In unserem Fall ist wichtig für die Mitarbeiter, dass die Marke sozial ist. Diversität zieht heute generell Mitarbeiter an - das sehen manche Unternehmen noch nicht. Sie fragen uns oft: Was müssen wir tun, um attraktiv zu sein als Arbeitgeber? Diversität zu leben ist heute eine Antwort darauf. Die Betriebe profitieren von ihr auf vielen Ebenen.

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