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Beruf verfehlt?

So heißt eine Siegergeschichte eines Schreibbewerbs über Scheitern im Beruf. Eine Arzthelferin, die keine Spritzen setzen kann. Wie soll das gehen? Angela Frey erzählt ihre Geschichte.

Wegen ihrer Spritzenangst gab Angela Frey ihren Job in einer Praxis auf und fand einen passenderen in einer Klinik.
Wegen ihrer Spritzenangst gab Angela Frey ihren Job in einer Praxis auf und fand einen passenderen in einer Klinik.

Es ist einer dieser Momente, den ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde. Die Eingangstür der Arztpraxis geht auf und ein Patient, der am Vortag zur Blutentnahme da war, betritt die Praxis. Er bleibt kurz hinter der Tür stehen, sein Blick fixiert mich, er krempelt seinen Hemdsärmel an einer Seite hoch, reckt mir den Arm entgegen und ruft quer durch die Praxis: "Sie Versagerin, schauen Sie, was sie gemacht haben!" Ich zucke zusammen, schaue zu ihm rüber und sehe seinen von dunkelblauen Blutergüssen ganz scheckig aussehenden Arm, den er wie ein Mahnmal in die Luft streckt. Leider tat sich kein Loch im Boden auf, in das ich hätte versinken können, und auch meine Entschuldigung nahm der Patient nicht an. Dieser Moment war das Ende meiner unglückseligen Beziehung zu Nadeln und Spritzen. Denn diesem prägenden Ereignis gingen natürlich schon diverse andere Vorkommnisse voraus.

Nun könnte man sich fragen, warum ich denn ausgerechnet den Beruf der Arzthelferin, zu dem Blutabnahmen und Spritzen dazugehören, ausgewählt habe. Augen auf bei der Berufswahl sozusagen! Zu meiner Verteidigung: Ich hatte nicht geahnt, welche Schwierigkeiten dort auf mich warteten. Ich war anfangs sehr motiviert und ging unbefangen an die Sache heran, die ersten Testpatienten überlebten. Allerdings absolvierte ich meine Ausbildung in einer Praxis, wo kaum Blut abgenommen wurde und ich somit irgendwie "drum herumkam". Das Unheil nahm dann erst später seinen Lauf, als ich in einer Hausarztpraxis anfing zu arbeiten. Es stellte sich schnell heraus, dass mich das Blutabnehmen in massiven Stress versetzte und ich anfing zu zittern. So stark, dass ich es zum Teil nicht schaffte, die Röhrchen beim Blutabnehmen zu wechseln. Unzählige Male musste ich abbrechen und meine Kollegin zu Hilfe holen, die dann weitermachte. Und mit jedem Mal wurde die Angst, es wieder nicht zu schaffen, größer und natürlich nahm mit der Angst das Zittern weiter zu. Wenn ich mal nicht so stark zitterte, zeigte sich darüber hinaus meine absolute Talentfreiheit, eine Vene zu treffen. Ich schaffte es, bei Patienten mit bleistiftdicken Gefäßen grundsätzlich danebenzustechen. Jeder Tag, wo ich im Labor eingeteilt war, wurde zum Horror und als es dann mit dem blauen Arm des Patienten eskalierte, war für mich der Zeitpunkt gekommen, an dem ich anerkennen musste, dass es mit mir und dem Blutabnehmen einfach nicht hinhaut.

Ich gestand mir und meinem Chef ein, dass es Dinge im Leben gibt, die man nicht kann und auch nicht lernen wird. Mir fiel ein riesengroßer Stein vom Herzen, Chef und Kolleginnen reagierten mit Verständnis. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Ich arbeite nun seit 13 Jahren in einem Krankenhaus und habe im Vorstellungsgespräch sofort gesagt, dass ich kein Blut abnehmen kann. Auch hier traf ich auf Verständnis. Es war sehr befreiend, dazu stehen zu können, nicht alles zu können, in seinem Beruf aber trotzdem gut zu sein!

Bild: SN/angela frey
Man darf dazu stehen
Angela Frey, Arzthelferin

Auf ihrer Station im Krankenhaus in Freilassing übernehmen ihre Kolleginnen das Blutabnehmen und Setzen von Spritzen. "Ich nehme ihnen dafür natürlich andere Arbeiten ab", schildert Angela Frey, die hier für Verwaltungsarbeiten und Patientenversorgung verantwortlich ist. Heute sei sie froh darüber, sofort darauf hingewiesen zu haben, dass sie keine Spritzen gebe. Hier auf Verständnis zu stoßen hat der gelernten Arzthelferin geholfen, ihre Selbstzweifel abzulegen. Was sie gelernt hat? "Man darf dazu stehen, dass man im Leben nicht alles können muss. Und Augen auf bei der Berufswahl", sagt sie mit Augenzwinkern. Schon in der Berufsschule, wo sie als Jahrgangsbeste abgeschnitten habe, habe sie am künstlichen Arm schon immer danebengestochen. Die Scheitergeschichte "Beruf verfehlt" hat Angela Frey auf "storyone" veröffentlicht, nachdem sie während des Lockdowns im Dezember den Aufruf zum Schreiben in den "Salzburger Nachrichten" gelesen hat. Ihr persönliches Scheitererlebnis hat sie auch dazu bewegt, sich beruflich umzuorientieren: Seit einem Jahr absolviert sie an der Uni Salzburg einen Lehrgang für Psychotherapie. Das erste Praktikum in einer psychosozialen Einrichtung (Pro Mente) in Salzburg steht bald bevor. Frey: "Als Psychotherapeutin kann ich dann Menschen helfen, mit ihren Ängsten umzugehen."

16 Scheiter-Geschichten

Angela Freys Geschichte sowie zahlreiche weitere persönliche Beiträge über berufliches Scheitern finden sich auf storyone.at. Gemeinsam mit der Kurzgeschichten-Plattform und Fuckup-Night-Salzburg-Gründerin Aleksandra Nagele hatten die "Salzburger Nachrichten" Ende Dezember 2020 zum Schreiben aufgerufen. In der Vielzahl beruflicher Scheitererlebnisse reflektieren die Autorinnen und Autoren, was sie aus ihrem Scheitern gelernt haben. Für diese Kultur ist in Österreich noch viel Luft nach oben. Eine gemeinsame Jury hat 16 Beiträge ausgewählt, die demnächst in Buchform erscheinen werden. Mutige Interessierte können weiterhin Beiträge veröffentlichen.
Link: story.one/c/fuckup-nights-salzburg