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Abteilungsblindheit: "Silodenken" rächt sich

Wenn jeder Mitarbeitende nur seinen Bereich im Auge hat, hakt es bald im Unternehmen. Ein Experte der Wirtschaftsuni Wien erklärt, was ganzheitliches Denken bringt.

Im Silo gibt es keine Fenster. In vielen Unternehmen arbeiten Abteilungen so: mit kaum Kontakt zum restlichen Unternehmen.
Im Silo gibt es keine Fenster. In vielen Unternehmen arbeiten Abteilungen so: mit kaum Kontakt zum restlichen Unternehmen.

Was ist für die Kollegen in der IT-Abteilung wichtig? Inwiefern ist meine Arbeit für den Verkauf relevant? "Diese Fragen müssen viel öfter gestellt werden", ist Gerhard Furtmüller überzeugt. Der Betriebswirt unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität Wien "Unternehmenssimulation" und ist als Lektor für Human Resource Management an der Universität Salzburg tätig. Mit seinem neuen Digitalprogramm für Unternehmenssimulation berät er auch Großunternehmen, die mehr ganzheitliches Denken einführen wollen. Damit soll ein gewisses "Silodenken" beendet werden.

Herr Furtmüller, Sie sagen, in vielen Betrieben in Österreich herrsche "Silodenken". Was meinen Sie damit? Gerhard Furtmüller: Es geht um eine Art Abteilungsblindheit. In vielen Unternehmen machen die Leute einzelner Abteilungen einen super Job, aber sie denken für die anderen Abteilungen zu wenig mit. Sie sehen nicht hinaus, weder was links los ist noch was sich rechts abspielt, wie in einem Silo. Dieses "Silodenken" verhindert Flexibilität und Erneuerung.

Warum ist Ihrer Ansicht nach solch ein "Silodenken" so verbreitet? Wir haben eine hohe Professionalisierung und Spezialisierung. Jeder ist in seiner Funktion. In der Ausbildung lernt die eine Finanzen und kennt sich darin wunderbar aus, der andere ist im Marketing versiert. Aber den Zusammenhang, was das eine für das andere bedeutet, sehen sie nicht. Manches hat sich in Firmen über die Jahre eingespielt. Wenn Firmen wachsen, werden die Aufgaben mehr und alles wird hochprofessionell. Man verliert den Blick aufs Ganze. Es ist fast schon normal, dass Leute, die zehn Jahre im Unternehmen sind, nicht mehr nach links und nach rechts sehen. Wenn Junge dazustoßen, merken sie das sofort. Aber auf die hört in der Regel noch keiner.

Welche Nachteile haben Unternehmen, wenn eine Abteilung nichts von der anderen weiß? Finanzielle Nachteile können eine Folge sein, zum Beispiel im Bauhandwerk. Wenn der Elektriker seine Kabel verlegt und nicht an die Arbeiten des Installateurs denkt, müssen womöglich die Leitungen später wieder neu verlegt werden. Das verteuert die Bauarbeiten. Wer ganzheitlich denkt, vermeidet solche Mehrkosten. Bei einem Pharmakonzern kann es der Kunde direkt spüren, wenn er beispielsweise für ihn unpassende Angebote erhält, weil Innendienst und Außendienst sich nicht abgesprochen haben. Oder in einem Unternehmen bekommt ein Kunde wegen der mangelnden Zusammenarbeit im Unternehmen mit, dass ein anderer bessere Konditionen bekommt. Das wird für die Firma dann unangenehm.

Inwieweit erkennen Führungskräfte diese Problematik? Es tut sich langsam ein bisschen was. Ein großer heimischer Energieversorger baut jetzt ganzheitliches Denken in sein Ausbildungsprogramm ein. Dort sagte man sich: "Wir haben hier ,Silodenken'. Was wir aber wollen, ist selbstverantwortliches Arbeiten."

Wie wichtig ist diese Erkenntnis? Sehr wichtig. Viele Leute muss man erst dazu motivieren, das Ganze zu erkennen. Das mache ich mit einer digitalen Unternehmenssimulation, die ich in der Coronazeit entwickelt habe. Da müssen die Studierenden oder die Führungskräfte für das simulierte Unternehmen unter anderem die Werbeausgaben bestimmen, Produktionsmaschinen kaufen und Leute einstellen. So erleben sie, was welche Entscheidung für die nächste Abteilung bedeutet. So wird das Verstehen gefördert und Missverständnisse vermieden. Die Führungskräfte bekommen spielerisch betriebswirtschaftliches Wissen.

Welche Tipps geben Sie Führungskräften allgemein, um ganzheitliches Denken zu fördern? Am Anfang steht, dass man sich bewusst macht: Für wen ist meine Leistung relevant? Für welche vorgelagerten und welche nachgelagerten Einheiten? Man schaut dadurch, ob im Unternehmen "Silodenken" vorherrscht. Ist das der Fall, helfen oft mehr informelle Treffen.

Also hilft es, mit der Belegschaft ab und zu auf ein Bier zu gehen? (Lacht.) Das kann es auch sein. Es geht darum, sich auszutauschen, sich zu treffen, auch mit Leuten aus den anderen Abteilungen. Rauchende Mitarbeiter haben da einen Vorteil. Die stehen öfters beisammen und tauschen sich so ganz informell untereinander aus. In manchen Unternehmen geht es aber um Machtfragen, dort wollen sich Führungskräfte und Geschäftsleitung bewusst abgrenzen. Moderne Führungskonzepte sehen anders aus und die werden wir zunehmend mehr bekommen. Seit der Pandemie sieht man, welche Unternehmen agil sind und wie die Mitarbeitenden eingestellt sind. Große Lösungen können nur durch Ganzheitlichkeit erreicht werden.